Das Arbeitsrecht der Diakonie

Die Diakonie ist der soziale Dienst der evangelischen Kirchen. Zur Diakonie gehören mehr als 33.000 stationäre und ambulante Dienste wie Krankenhäuser, Altenpflegeheime, Sozialstationen, Wohngruppen oder Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Angebote für Suchtkranke und Obdachlose oder Beratungsstellen. Rund 628.000 hauptamtliche Mitarbeitende sind in Voll- und in Teilzeit in ca. 5.000 diakonischen Unternehmen in unterschiedlichen Hilfefeldern beschäftigt. Hinzu kommen 700.000 ehrenamtlich in der Diakonie Engagierte.

Die Diakonie setzt sich für Menschen ein, die am Rande der Gesellschaft stehen, die auf Hilfe angewiesen oder benachteiligt sind. Sie versteht sich als Anwältin der Schwachen und benennt öffentlich die Ursachen von sozialer Not gegenüber Politik und Gesellschaft.

Die Diakonie Deutschland ist die Dachorganisation der diakonischen Verbände und Einrichtungen in der Bundesrepublik. Sie ist der Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirchen und Dachverband für die soziale Arbeit. Mitglieder sind die Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die 17 Landesverbände und die 66 Fachverbände der Diakonie sowie verschiedene Freikirchen mit ihren diakonischen Einrichtungen. Einzeln oder gemeinsam mit anderen Organisationen positioniert sich die Diakonie Deutschland sozialpolitisch und nimmt diese Lobbyarbeit im Inland und auch in der Europäischen Union wahr, zum Teil gemeinsam mit anderen Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege oder ausländischen Partnern.

Diakonische Unternehmen arbeiten gemeinnützig und nicht profitorientiert. Das unterscheidet sie von der gewerblichen Privatwirtschaft. Kapitalausschüttungen an die Gesellschafter sind verboten.

Diakonische Unternehmen erbringen innerhalb des deutschen Sozialsystems soziale Dienstleistungen in den Bereichen Jugendhilfe, Behindertenhilfe, Altenhilfe, Bildung, der beruflichen und medizinischen Rehabilitation sowie im Gesundheitswesen. In ihren unterschiedlichen Rechts- und Organisationsformen schließen sie als Leistungserbringer mit den öffentlichen Leistungs- und Kostenträgern (z.B. den Pflege- und Krankenkassen) Verträge, in denen u.a. die Finanzierung der Leistungen für die Leistungsberechtigten (z.B. die Pflegebedürftigen) vereinbart wird. Sie müssen somit als Teil der modernen Sozialwirtschaft ihre jeweiligen Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbringen und unterliegen dem Wettbewerb innerhalb der Sozial- und Gesundheitsbranche. Weitere Finanzquellen sind Bundes- und Landesmittel, für den Bundesverband zum Beispiel Mittel aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Daneben fließen der Diakonie Spenden und Kollekten sowie Geld aus den Soziallotterien (Glücksspirale, Fernsehlotterie, Aktion Mensch) zu.

Das kirchliche Arbeitsrecht bewegt sich bei aller Eigenständigkeit stets innerhalb der Grenzen der für Alle geltenden Gesetze zu denen auch die verfassungsmäßig verbürgte individuelle und kollektive Religionsfreiheit gehören. Die Arbeitnehmerschutzgesetze wie Kündigungsschutzgesetz, Bundesurlaubsgesetz, Teilzeit- und Befristungsgesetz, Entgeltfortzahlungsgesetz, Arbeitszeitgesetz etc. gelten uneingeschränkt auch für kirchliche Mitarbeitende.

Auch das eigene Arbeitsrecht von Kirche und Diakonie hat seinen Ursprung im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Die Kirchen haben in Deutschland ein Selbstbestimmungsrecht. Kirche und Staat sind getrennt. Der weltanschaulich neutrale, säkulare, Staat kann religiöse Entscheidungen nicht treffen und muss sie daher den Kirchen überlassen, natürlich im Rahmen der für Alle geltenden Gesetze. Würde der Staat kirchliche Entscheidungen treffen, wäre er nicht mehr säkular und die Kirchen umgekehrt nicht mehr kirchlich.

Artikel 4 Grundgesetz garantiert nicht nur allen Bürger:innen individuelle Religionsfreiheit, sondern auch den Kirchen kollektive und korporative Religionsfreiheit. Dazu gehört, dass die Kirchen ihre Angelegenheiten selbst regeln können (Artikel 4 und 140 Grundgesetz in Verbindung mit. Artikel 137 Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung), auch das Arbeitsrecht. Das gilt auch für die Diakonie, weil sie der Kirche zugeordnet ist.

Das ist das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Dieses Selbstbestimmungsrecht erlaubt es der Kirche und den ihr zugeordneten Organisationen (wie der Diakonie), ihre eigenen Angelegenheiten entsprechend ihrem christlichen Selbstverständnis und ihren Werten zu organisieren und zu regeln.

Kirche und Diakonie haben den Dritten Weg geschaffen. Dieser beruht auf dem christlichen Verständnis von diakonischer Arbeit. Dritter Weg heißt, dass Arbeitsbedingungen weder einseitig durch den Arbeitgeber bestimmt werden (Erster Weg, der Regelfall für Beamte und große Teile der Privatwirtschaft), noch durch Tarifvertragsverhandlungen, mit der Option durch Arbeitskampfmaßnahmen (Streik und Aussperrung) gegenseitigen Druck auszuüben, (Zweiter Weg) gestaltet werden.

Im kirchlichen Dritten Weg werden die Arbeitsbedingungen in Arbeitsrechtlichen Kommissionen verhandelt, in denen jeweils die gleiche Anzahl von Vertreter*innen der Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen sitzen. Ein Beschluss setzt eine mehrheitliche Zustimmung auf jeder Seite voraus. Wird in den Verhandlungen der Arbeitsrechtlichen Kommission keine entsprechende Verständigung erzielt, wird der Konflikt in einem neutralen und verbindlichen Schlichtungsverfahren gelöst.

Die Praxis zeigt: In der Diakonie werden außergewöhnlich hohe Löhne gezahlt, gute Lohnnebenleistungen erbracht und es herrscht eine fast flächendeckende Tarifbindung.

• In nahezu allen Bereichen gehören die Diakonie-Mitarbeitenden zu den bestverdienenden 20 Prozent in ihrem Arbeitsbereich. (Quelle: Jahrbuch Tarif und Entgelt 2023, Wohlfahrt intern)
• Aber auch die tariflichen Ansprüche, wie eine Jahressonderzahlung, Kinderzuschläge oder eine zusätzliche kirchliche Altersversorgung sind Bestandteile der attraktiven diakonischen Tarifwerke.
• 97 Prozent der Beschäftigten in den Kernarbeitsbereichen der Diakonie unterlagen 2022 einer Tarifbindung. In der Gesamtwirtschaft waren 2022 nur 49 Prozent der Beschäftigten in einem tarifgebundenen Betrieb beschäftigt (Quelle: Statistisches Bundesamt).

Deswegen wollen wir den Dritten Weg als kluges und modernes Verhandlungssystem erhalten.

Die Vergütung ist im Vergleich mit anderen Anbietern am Sozialmarkt in allen Regionen Deutschlands im Ergebnis überdurchschnittlich hoch. Die diakonischen Arbeitsfelder unterliegen den gleichen Wettbewerbsbedingungen wie private Unternehmen auf dem Sozialmarkt, trotzdem liegen die Gehälter in der gemeinnützigen Diakonie meist deutlich über dem, was diese Anbieter im Sozial- und Gesundheitswesen zahlen.

In einem aktuellen Gehaltsvergleich (2023) des Fachmagazins ‚Wohlfahrt intern‘ zwischen den Wohlfahrtsverbänden belegt die Diakonie Platz eins. Die Diakonie punktet insbesondere bei Fachkräften in Erziehung und Pflege. In fast allen Erfahrungsstufen holt der evangelische Verband hier den ersten Platz. Bei den Erzieherinnen und Erziehern sowie Altenpflegekräften im ersten Berufsjahr belegen gleich zwei diakonische Tarifwerke im Verbändevergleich die ersten Plätze. Ganz oben stehen die Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Deutschland (AVR DD) mit 22,60 Euro pro Stunde für Altenpflegerinnen und -pfleger und 22,01 Euro pro Stunde für Erzieherinnen und Erzieher (zzgl. Zulagen, Zuschläge und Jahressonderzahlung). Zum Vergleich: Ein Anlagemechaniker in Bayern verdient durchschnittlich 22,70 Euro Stundenlohn. Damit setzt sich der dokumentierte Trend der vergangenen zehn Jahre auch im Jahre 2023 fort.

Mehr zu den Gehältern in der Diakonie finden Sie auf der Seite www.attraktiver.de

Ähnlich wie bei Beamten werden Tarifkonflikte nach langen Verhandlungen in der Diakonie nicht über Streiks ausgetragen. Statt auf Streik und Aussperrung setzen Diakonie und Kirche auf Verhandlung und Schlichtung. Dass Tarifauseinandersetzungen auch ohne Arbeitskampf fair gelöst werden können, zeigen die überdurchschnittlich hohen Löhne in der Diakonie.

Der Schlichtungsweg der Diakonie nimmt Rücksicht auf besonders hilfsbedürftige Menschen in den Einrichtungen. Verteilungskonflikte sollen nicht zulasten von Hilfebedürftigen und besonders Verletzlicher (z.B. junge, kranke, alte oder behinderte Menschen) ausgetragen werden. Das würde auch nicht dem kirchlichen Selbstverständnis entsprechen. Wenn Bahnangestellte streiken, ist das ärgerlich für ihre Kund:innen – Streiken die Mitarbeitenden eines ambulanten Pflegedienstes, kann das eine echte Gefahr für die ihnen anvertrauten Menschen bedeuten. Notdienstvereinbarungen reichen hier oft nicht aus.

Der Verzicht auf Streik im Dritten Weg von Diakonie und Kirche verstößt, entgegen weit verbreiteter Vorurteile, nicht gegen das Grundgesetz. Zwar haben die Gewerkschaften und ihre Mitglieder im Rahmen ihrer Tarifkonflikte (Zweiter Weg) ein Streikrecht und die Arbeitgeber ein Recht auf Aussperrung, aber im Schlichtungsweg (Dritter Weg) ist das nicht erforderlich. Der Schlichtungsweg ist ein gleichwertiges Verfahren zur Lösung von Tarifkonflikten. Dies wurde in einer Grundsatzentscheidung 2012 vom Bundesarbeitsgericht ausdrücklich bestätigt (BAG 1 AZR 179/11, Rz. 119).

Für die Mitarbeitenden in diakonischen Einrichtungen gelten die arbeits(schutz)rechtlichen Regelungen der staatlichen Rechtsordnung, z. B. Regelungen zur Arbeitszeit und Arbeitssicherheit sowie zum Kündigungsschutz. Unterschiede bestehen lediglich im Betriebsverfassungsrecht und der Art der Arbeitsrechtssetzung (Dritter Weg, siehe oben).

Was in der Wirtschaft Betriebsrat und im öffentlichen Dienst Personalvertretung heißt, ist in der Diakonie die Mitarbeitervertretung. Während in der Wirtschaft jedoch nur noch acht Prozent der betriebsratsfähigen Betriebe in Deutschland einen Betriebsrat haben (Quelle: IAB-Betriebspanel 2023), verfügen 96 Prozent der kirchlichen und diakonischen Einrichtungen über eine Mitarbeitervertretung.

Vergleicht man das kirchliche Mitarbeitervertretungsrechts mit dem Betriebsverfassungsrecht und dem Personalvertretungsrecht, gibt es zwar Unterschiede, aber das eine ist nicht besser oder schlechter als das andere. Das hat auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages 2012 festgestellt. „In der Gesamtschau kann festgehalten werden, dass das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht und das Betriebsverfassungsrecht im Prinzip gleichwertig sind (vgl. Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 7.06.2012, WD 6 – 3000-053/12)“ Seitdem wurde das Mitarbeitervertretungsrecht auch noch durch zwei umfangreiche Reformen weiterentwickelt.