eine Frau berät eine Klientin
©Kathrin Harms

Aktuelle Migrationspolitik erschwert Integration

Blitzumfrage der Diakonie Deutschland in Beratungsstellen

Der verschärfte Kurs der Bundesregierung in der Asyl- und Migrationspolitik wirkt sich negativ auf die Arbeit der bundesweiten Migrationsberatung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort aus und erschwert die Integration von Migrantinnen und Migranten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Blitzumfrage der Diakonie Deutschland, an der sich mehr als 100 Beratungsfachkräfte anlässlich des Weltflüchtlingstages am 20. Juni beteiligt haben. Demnach berichten 97 Prozent der teilnehmenden Beratungskräfte von einer deutlich gestiegenen Verunsicherung unter den Ratsuchenden. Außerdem nennen 79 Prozent ein dadurch erhöhtes Beratungsaufkommen. Die Ursachen dafür liegen nach Einschätzung der Fachkräfte vor allem in der Verunsicherung über die aktuelle Asyl- und Migrationspolitik und die Gesetzesänderungen der schwarz-roten Regierung, darunter die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte und das Ende der erleichterten Einbürgerung. 
 
Elke Ronneberger, Bundesvorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland: „Dieses Stimmungsbild von mehr als 100 Beratungskräften zeigt: Die aktuelle gesellschaftliche und politische Stimmungslage verunsichert und beängstigt Menschen, die unsere Beratungsstellen mit dem Ziel aufsuchen, möglichst schnell Teil dieser Gesellschaft zu werden.“ Ein großer Teil der Beratungskräfte beobachtet bei den Ratsuchenden psychische Belastungen wie Retraumatisierungen (69 Prozent) bis hin zu stockenden Integrationsprozessen (58 Prozent). Ein Drittel der Befragten berichtet von gut qualifizierten Migrant:innen, die mit dem Gedanken spielen, in ein anderes Land auszuwandern. Ronneberger dazu: „Nur wer sich als Teil der Gemeinschaft fühlt, kann sich positiv in diese Gemeinschaft einbringen und einen Beitrag für dieses Land leisten. Grundvoraussetzungen dafür sind, dass für alle in Deutschland lebenden Menschen die gleichen Rechte und Pflichten gelten, Deutschland sich zum Flüchtlingsschutz und seiner gesellschaftlichen Vielfalt bekennt und Politik und Verwaltung mit einer Kultur des Willkommenheißens und Teilhabeangeboten dafür sorgen, dass sich alle zugehörig fühlen können.“ 
 
„Diese Blitzumfrage sollte uns nicht nur als offenes Land, sondern auch als Land mit Arbeits- und Fachkräftemangel zu denken geben“, so Ronneberger. „Wer Integration ernst meint, muss soziale Sicherheit und Teilhabe für alle und eine offene Gesellschaft fördern – und darf nicht Ängste schüren oder Gruppen gegeneinander ausspielen.“ Die Sozialvorständin appelliert an die Politik, Integration, Bildungs- und Sozialpolitik zusammenzudenken: „Integration gelingt nicht auf dem Papier, sondern im Alltag – dort, wo Menschen wohnen, arbeiten und ihre Kinder zur Schule schicken. Dafür braucht es konkrete Verbesserungen vor Ort für alle Menschen und eine Politik, die nicht trennt, sondern verbindet. Flüchtlings- Integrations- und Sozialpolitik dürfen nicht länger nebeneinander herlaufen, sondern müssen zusammen gedacht und gestaltet werden“, betont Ronneberger. 
 
Zusammenfassung der Ergebnisse und Hintergrund:  
 
Verunsicherung gefährdet gesellschaftlichen Zusammenhalt 
Die Rückmeldungen aus den Beratungsstellen verdeutlichen, wie tiefgreifend sich die politische und gesellschaftliche Entwicklung auf das alltägliche Leben von Migrant:innen auswirkt. So berichten 38 Prozent der Fachkräfte, dass die Verunsicherung Begegnungen und gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort beeinträchtigt. In Freitextantworten äußerten Beratungskräfte, dass die veränderte politische Situation nach den Wahlen vermehrt und offener zu Diskriminierung führt und die Beratung nach diskriminierenden Vorfällen zunimmt. In der Beratung stellen einzelne Klient*innen bereits die Frage, wo sie hinziehen können, um sicherer vor Übergriffen zu leben. 
 
Negative Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft 
Neben den gesellschaftlichen Auswirkungen sehen die Beratungsstellen auch wirtschaftliche Konsequenzen: Qualifizierte Migrant:innen ziehen sich aufgrund wachsender Unsicherheiten zunehmend aus beruflichen Integrationsprozessen zurück oder denken über eine Abwanderung in andere Länder nach. Rund 35 Prozent der Beratungskräfte berichten, dass gut ausgebildete Fachkräfte Deutschland wieder verlassen möchten. Hinzu kommt, dass prekäre Arbeitsverhältnisse oft aus Angst vor aufenthaltsrechtlichen Nachteilen angenommen werden – häufig weit unterhalb der tatsächlichen Qualifikation. Diese Entwicklungen verschärfen nicht nur individuelle Belastungen, sondern auch den bereits spürbaren Fachkräftemangel in vielen Branchen. Eine integrationsfreundliche Politik ist daher auch wirtschaftlich im Interesse Deutschlands. 
 
Zentrale Integrationshemmnisse laut Beratenden 
Die größten Hürden für gelingende Integration sehen die Befragten in der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Stimmung (75 Prozent), der Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte (70 Prozent) sowie in langen Verfahrensdauern (63 Prozent). Weitere häufig genannte Hemmnisse sind unter anderem: 

Aktuelle Stimmen aus der Migrationsberatung:  
 
„…prekäre Arbeitsverhältnisse (meist unterhalb ihrer Qualifikation) werden angenommen, um als integriert zu gelten, Abbruch eines Sprachkurses um lieber zu arbeiten“ 


„Viele Klient*innen nehmen einen politischen Rechtsruck wahr, machen sich Sorgen um ihre Zukunft in Deutschland, leben mit Unsicherheiten und Ängsten durch rechtsextreme und konservative Parteien oder haben Angst, abgeschoben zu werden.“  
 
„Ein afghanischer junger Mann, welcher die 12. Klasse eines beruflichen Gymnasiums besucht, sagte mir (der Beratungsfachkraft): „Ich bin mit 10 Jahren vor den Taliban über die Berge geflohen und werde nun kritisch beäugt, weil ich ein barttragender Mann aus Afghanistan bin. Deutschland ist mein Zuhause. Wir werden alle mitbeschuldigt“.  

Hintergrund

Die Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte berät und unterstützt Eingewanderte und Geflüchtete bei Fragen und Problemen des täglichen Lebens. Sie hilft ihnen, sich in Deutschland zurechtzufinden und zu integrieren. Aktuell arbeiten 288 Berater:innen in Trägerschaft der Diakonie. 104 Beratungskräfte der Diakonie haben sich an der Umfrage aus Juni 2025 beteiligt.

@ Hermann Bredehorst

Kathrin Klinkusch

Pressesprecherin

030 652111780

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