Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie durch die Sicherung von Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes (Tariftreuegesetz-E)
Wir bedanken uns für die Möglichkeit zur Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie durch die Sicherung von Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes (Tariftreuegesetz), der uns am 22. 07.2025 mit Frist zur Stellungnahme bis zum 25.07.2025 zugegangen ist. Die Diakonie Deutschland ist die soziale Arbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und vertritt als Spitzenverband ca. 33.000 gemeinnützige diakonische Einrichtungen mit bundesweit ca. 627.000 Beschäftigten. Für diese gelten durchweg entweder kirchliche Tarifwerke (Arbeitsvertragsrichtlinien) oder kirchengemäße Tarifverträge.
Wir bitten um Berücksichtigung dieser besonderen, auch verfassungsrechtlich geschützten Strukturen des kirchlichen Arbeitsrechts im Tariftreuegesetz. Das Deutsche Grundgesetz verlangt nicht nur – wie im TariftreueG-E insbesondere in § 5 bereits vorgesehen –, die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Tarifautonomie durch Einbindung der Tarifparteien zu wahren. Es verlangt auch, die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und dem darauf beruhenden dritten Weg im Arbeitsrecht zu wahren. In diesem dritten Weg werden Arbeitsbedingungen (Arbeitsvertragsrichtlinien) durch paritätisch besetzte Arbeitsrechtliche Kommissionen gesetzt.
Wir bedauern, dass die Erfordernisse und Strukturen der kirchlich-diakonischen bzw. caritativen Teile der gemeinnützigen Gesundheits- und Sozialwirtschaft im Gesetzesentwurf bisher keine Berücksichtigung gefunden haben. Für Nachfragen und Informationen stehen wir jederzeit gerne zur Verfügung. Angesichts der Kürze der gesetzten Frist ist uns eine ausführliche schriftliche Stellungnahme zu dem neuen Gesetzesentwurf leider nicht möglich, so dass wir uns auf eine knappe Darstellung der aus unserer Sicht wesentlichen Punkte beschränken müssen. Wir weisen darauf hin, dass die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zu dem Referentenentwurf eines Tariftreuegesetzes vom Herbst letzten Jahres ausführlich Stellung genommen hat und bekräftigen die in dieser Stellungnahme zum Ausdruck gebrachten Grundhaltungen zur Thematik.
Grundsätzliches
Die Diakonie Deutschland begrüßt die Zielsetzung des Gesetzesentwurfs, Lohndumping bei der Auftragsvergabe einzudämmen. Kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien und kirchengemäße Tarifverträge gewährleisten in den durchweg gemeinnützigen diakonischen Einrichtungen für die Mitarbeitenden ein hohes tarifliches Niveau. Für diese gemeinnützigen Einrichtungen ist es daher wirtschaftlich problematisch, wenn und soweit sie aufgrund ihrer attraktiven Arbeitsbedingungen und der damit verbundenen höheren Preiskalkulationen in Vergabeverfahren nicht berücksichtigt werden. Im künftigen Anwendungsbereich dieses Gesetzes betrifft dies insbesondere die Beschaffungen und Vergabeverfahren der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Beide Bereiche betreffen Kernaufgaben der Diakonie. Die Benachteiligung von tariflich gebundenen Anbietern und insbesondere solchen aus der Freien Wohlfahrtspflege ist jedoch ein strukturelles Problem, das untrennbar mit der Beschaffung sozialer Dienstleistungen verbunden ist.
Vor diesem Hintergrund möchten wir betonen, dass wir Vergabeverfahren zur Sicherstellung und Bereitstellung sozialer Dienstleistungen am Menschen grundsätzlich für ungeeignet und unangemessen halten. Solange das Sozialrecht aber weiterhin die Beschaffung sozialer Dienstleistungen neben dem System des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses im Bereich sozialer Dienstleistungen zulässt oder gar anordnet, muss gewährleistet sein, dass die Vergabeverfahren tarifgebundene, gemeinnützige Leistungserbringer der Freien Wohlfahrtspflege nicht dadurch benachteiligen, dass diese sich wegen zu hoher Personalkosten nicht durchsetzen können. Dieser Preis- und Unterbietungswettbewerb zulasten tarifgebundener Leistungsanbieter geht auf Kosten der Leistungsqualität und führt dazu, dass die Gruppe gemeinnütziger Leistungserbringer zunehmend aus diesem Markt verdrängt wird. Dies verursacht und verschärft nicht nur wirtschaftliche Notlagen dieser Leistungserbringer. Betroffen sind gerade diejenigen Leistungserbringer, die aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen und Professionalität die Versorgung mit sozialen Dienstleistungen im Sozialstaat besonders effektiv, effizient und verlässlich absichern. Vergabeverfahren, die diesen Auswirkungen auf die soziale Infrastruktur nicht entgegensteuern, gefährden die Versorgungssicherheit, die der Sozialstaat gegenüber den Bürgern zu garantieren hat. Leidtragende eines ungesteuerten Unterbietungswettbewerbs sind Menschen, die in existentiellen Notlagen auf diese Leistungen angewiesen sind.