Johann Hinrich Wichern

Geboren 21. April 1808 in Hamburg, gestorben 7. April 1881 in Hamburg

Vorsteher der Rettungs- und Brüderanstalt Rauhes Haus in Hamburg

Gründer und späterer Präsident des Central-Ausschusses für Innere Mission

Als ältestes von sieben Kindern eines Notars kann Wichern nach dem frühen Tod des Vaters nur durch die Unterstützung einflussreicher Persönlichkeiten aus der Hamburger Erweckunsgbewegung ein Studium der Theologie in Göttingen und Berlin absolvieren. Beeinflusst wird er vor allem durch die antirationalistische, praxisbezogene Theologie der Professoren Friedrich Lücke und August Neander und das sozial-karitative Vorbild des in Berlin wirkenden Barons von Kottwitz.

1832 wird er Oberlehrer an der Sonntagsschule für arme Kinder in der Hamburger Vorstadt St. Georg. Die Not der Kinder führt 1833 zur Gründung eines Rettungshauses nach dem Vorbild des Lutherhofes von Johannes Falk (Weimar). Das „Rauhe Haus“ stellt sich als „Rettungsdorf“ dar, in dessen Häusern familienähnliche Gruppen von Kindern und Erziehern leben. In eigenen Werkstätten erhalten die Jugendlichen eine handwerkliche Ausbildung. Für die Ausbildung der Erzieher („Brüder“, später „Diakone“) gründet Wichern eine Brüderanstalt.

Mit seinen seit 1844 in der „Agentur des Rauhen Hauses“ erscheinenden „Fliegenden Blättern“ verbreitet Wichern seine pädagogischen und volksmissionarischen Ideen im gesamten deutschsprachigen Raum. Sein Ziel ist die Rechristianisierung der kirchliche entfremdeten Unterschichten, die Schaffung einer lebendigen Volkskirche und die Überwindung der landeskirchlichen Zersplitterung. Sein Programm der „inneren Mission“ verbindet Volksmission und soziale Tat und setzt auf moderne Organisationsstrukturen in Vereinen.

Im September 1848 ruft Wichern auf dem Kirchentag in Wittenberg in einer spontanen, leidenschaftlichen Rede die Kirche auf, sich zur Inneren Mission zu bekennen. Der daraufhin gegründete „Central-Ausschuss für die innere Mission der deutschen evangelischen Kirche“ und Wicherns 1849 erscheinende „Denkschrift an die deutsche Nation“ führen zur geistigen und organisatorischen Ausbreitung der Inneren Mission in Deutschland.

Auf Veranlassung Friedrich Wilhelms IV. wird Wichern 1857 zum Mitglied des Evangelischen Oberkirchenrates in Berlin und Vortragenden Rat im Preußischen Innenministerium berufen. Sein Auftrag gilt der Strafvollzugsreform, als deren Ziel er die Abschaffung von Massenzellen und den Einsatz qualifizierten Personals fordert. Dazu gründet Wichern 1858 in Berlin das Evangelische Johannesstift als weitere Brüderanstalt. Ende des Jahres übernimmt er auch die Präsidentschaft des Central-Ausschusses.

In den Kriegen von 1864, 1866 und 1870/71 sammelt Wichern eine große Zahl von Freiwilligen zur pflegerischen und geistlichen Betreuung von Soldaten („Felddiakonie“). Nach einem Schlaganfall übergibt er 1873 die Leitung des Rauhen Hauses an seinen Sohn Johannes und scheidet 1874 aus der Arbeit des Central-Ausschusses und aus dem Staatsdienst aus.

Johann Hinrich Wichern trat als Sozialpädagoge, Publizist, praktischer Theologe und Kirchenpolitiker hervor, aber ein Sozialreformer im politisch-strukturverändernden Sinn war er nicht. Als erster und bedeutendster Theoretiker und Organisator der Inneren Mission gilt er zu Recht als Wegbereiter der christlich-sozialen Bewegung und Gründer der modernen Diakonie.

Autor: Michael Häusler

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