Wissen kompakt: Armut
Wer gilt als arm? Was ist der Unterschied zwischen absoluter und relativer Armut? Dieses Wissen Kompakt gibt einen Überblick zur Definition von Armut sowie Zahlen und Hintergründen.
16.05.2025
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Die Überwindung sozialer Ungerechtigkeit ist neben aktiver Hilfe ein wichtiges Anliegen diakonischer Arbeit. Zwar leben die Menschen in Deutschland im globalen Vergleich an einem privilegierten Ort. Trotz des Wohlstandes gibt es eine wachsende soziale Ungleichheit in Deutschland. Zudem sind wirtschaftliche und koloniale Ausbeutung eine der Grundlagen des Wohlstandes.
Neben monetären Verteilungsfragen sind die Kategorien Geschlechtlichkeit und sexuelle Identität, geographische Herkunft sowie „Disability“ mitbestimmend. Gerechtigkeitsfragen müssen in diesen Zusammenhängen verortet werden.
Tonangebend in gesellschaftlichen Debatten sind oft die Privilegierten, Hilfen oft paternalistisch. Es dürften nicht nur die unterschiedlichen Lebensverhältnisse wahrgenommen werden, sondern auch Wege zur Selbstermächtigung (Empowerment) bisher Benachteiligter sind zu eröffnen.
Das Wissen kompakt Armut gibt einen Überblick über die wichtigsten Fakten. Eine detaillierte Darstellung liefert der Schattenbericht zu Armut in Deutschland.
Was ist Armut?
Absolute Armut bezeichnet lebensbedrohlichen Mangel an Nahrung, Kleidung, Wohnmöglichkeiten und gesundheitlicher Versorgung. Sie ist in Deutschland eher selten. In Deutschland sind aber rund 7 Prozent der Bevölkerung, gut 5,5 Millionen Menschen, von erheblicher materieller Entbehrung betroffen. Diese bezeichnet einen Zustand, in dem drei Entbehrungskriterien zugleich auftreten wie fehlende regelmäßige warme Mahlzeiten, ausreichende Heizung oder fehlende Mittel für unterwartete Ausgaben oder Reparaturen.
Ein erweiterter Begriff von Armut wird durch den Begriff „Relative Armut“ beschrieben. Dies betrifft Menschen, denen nicht die als gesellschaftlich normal geltenden Zugänge zur Verfügung stehen, etwa Internet für die Schulhausaufgaben, die Möglichkeit zu Familienfeiern oder Kleidung, die als angemessen gilt. Gemessen wird dies mit 60 Prozent des Medians des nationalen (Haushalts-) Nettoäquivalenzeinkommens. Haushalte, die weniger zur Verfügung haben, gelten heute als einkommensarm.
Dazu kommen Menschen, die von sozialer Ausgrenzung betroffen sind und etwa mit wenig Geldmitteln für den Alltag auskommen müssen, weil sie eine hohe Miete haben, verschuldet sind oder mit weiteren Belastungen leben müssen. Von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen sind in Deutschland im Mittel der letzten Jahre über 17 Prozent der Bevölkerung , das sind mehr als 13 Millionen Menschen.
Armut steht Reichtum gegenüber. Seit Jahren nimmt der Anteil der einkommensstärksten und vermögendsten 10 Prozent der Bevölkerung am gesamtgesellschaftlichen Einkommen und Vermögen deutlich zu, während der Anteil des unteren Fünftels rasant abnimmt.
Gesichter der Armut
Armut in Deutschland ist ein gesellschaftliches Problem. Dabei geht es um konkrete Menschen wie etwa getrennt Erziehende, Familien mit mehr als zwei Kindern, Wohnungssuchende mit geringen finanziellen Spielräumen in Ballungszentren, Menschen mit Behinderungen und chronischer Krankheit, Geflüchtete, im Bildungssystem benachteiligte Personenkreise:
Armut, Familien und Geschlecht
Armut ist ungleich verteilt. So ist das Armutsrisiko von Allein- und getrennt Erziehenden doppelt so hoch wie im Durchschnitt. Auch das von Kinderreichen ist deutlich überdurchschnittlich. Und im Alter haben Frauen ein deutlich höheres Armutsrisiko als Männer. Dagegen haben Verheiratete mit ein oder zwei Kindern ein durchschnittliches Armutsrisiko von unter 10 Prozent.
Armut, Flucht und Migration
Wer nach Deutschland flieht, steht nicht nur materiell vor dem Nichts. Berufliche Abschlüsse werden nicht oder erst nach umständlichen Verfahren anerkannt. Zugewanderte, die arbeiten dürfen, werden oftmals weit unterhalb ihres Qualifikationsniveaus in gering entlohnten Jobs beschäftigt, die nicht einmal ihren Lebensunterhalt sichern.
Langzeit-Erwerbslosigkeit
Langzeit-Erwerbslose erleben über Jahre, dass sie trotz großer Bemühungen keine echten Chancen haben. Wirksame Hilfen zur Teilhabe an Arbeit werden nicht hinreichend und nicht sicher finanziert.
Armutsrisiko Wohnraum
Wohnen ist zum Armutsrisiko geworden, bis in die Mittelschicht hinein. Wenn heute der Erzieher und die Polizistin mit drei Kindern eine neue Wohnung suchen, haben sie sehr schlechte Karten.
Armut ist Ausgrenzung
Armut bedeutet fehlende Chancen, sich wie andere gesellschaftlich und demokratisch zu beteiligen. Täglich erfahren in Armut Lebende Diskriminierung. Armut und gesellschaftliche Isolation haben viel mit Scham zu tun. Armut wird als individuelles Versagen gedeutet und den Betroffenen zugerechnet.
Armut wird als Gewalt erlebt
Menschen mit Armutserfahrung erleben ihre Lage oft als strukturelle Gewalt. Sie erfahren ständig, in ihren Möglichkeiten eingeschränkt und nicht ernst genommen zu werden. Gewalterfahrungen potenzieren sich in sozialen Zusammenhängen, die von Armut geprägt sind. Die Reaktionen darauf sind oft hilflos bis autoritär: in der Schule, im behördlichen Umgang.
Positionen der Diakonie
Reichtum ist in einer Welt der begrenzten Güter die komplementäre Seite der Armut. Menschen, die in Wohlstand leben, sind zur Solidarität aufgerufen.
Soziale Menschenrechte sind verbriefte Rechte, die konkret in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Im UN-Sozialpakt und der Europäischen Sozialcharta sind soziale Menschenrechte wie zum Beispiel das Recht auf soziale Sicherheit, einen angemessenen Lebensstandard, Schutz vor Hunger, körperliche und geistige Gesundheit und Bildung verankert.
Menschen mit Armutserfahrung sind Subjekte mit Rechten und Kompetenzen. Armut ist die Folge von gesellschaftlichem Versagen. Wer Menschen, die Armut erleben, die Schuld daran zuschiebt, verschleiert Ungerechtigkeit. Die Diakonie will anstelle von Armut die Macht zu Veränderungen befördern, anstelle von Ohnmacht Ermutigung. Dem widerspricht jede Form des Paternalismus.
Für jeden Menschen ist die Erfahrung wesentlich, wichtig zu sein, über volle und gleiche Rechte zu verfügen, die konkrete Verwirklichung dieser Rechte zu erleben sowie einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Armutsbekämpfung will den von Armut und Marginalisierung Betroffenen Entwicklungsmöglichkeiten erschließen und sie sowohl in der Ausgestaltung der sozialarbeiterischen Hilfen als auch bei der politischen Interessenvertretung beteiligen.
Zahlen und Fakten
Die folgende Darstellung stellt die wichtigsten Daten für Deutschland aus der Europäischen Vergleichsstatistik EU-SILC zur Situation im Jahr 2022 zusammen, die 2023 erhoben und 2024 veröffentlicht wurden.
Rassismus verschärft Armutserfahrungen
Für den Zusammenhang von Rassismus und Armut liefert der Kurzbericht des „Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors“ (NaDiRa) eindrückliche Belege:
Eine 2022 durchgeführte Befragung ergab, dass die Armutsgefährdungsquote bei nicht rassistisch markierten Männern bei 9 Prozent, bei nicht rassistisch markierten Frauen 10 Prozent beträgt. Dagegen sind 26 Prozent der Schwarzen Männer und Frauen, 30 Prozent beziehungsweise 26 Prozent der asiatischen Männer und Frauen sowie 41 Prozent beziehungsweise 38 Prozent der muslimischen Männer und Frauen armutsgefährdet.
Die Gefahr, trotz Vollzeiterwerbstätigkeit unter der Armutsschwelle zu leben, ist bei Schwarzen Frauen (22 Prozent), muslimischen Männern (21 Prozent) und asiatischen Männern (19 Prozent) etwa viermal so hoch bei nicht rassistisch markierten Männern und Frauen (5 Prozent).
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