Kur- und Erholungsheime

Das Bedürfnis nach Erholung

„Je komplizierter und aufreibender das Leben geworden ist, desto stärker ist auch das Bedürfnis nach Erholung und Ausspannung geworden. Zahlreich werden insbesondere von Großstädtern Orte aufgesucht, die wegen ihrer Lage (Wald, See, Gebirge) und klimatischen Verhältnisse oder wegen anderer Heilfaktoren (Bäder, Brunnen) zu einem Erholungsaufenthalt besonders geeignet sind“, schreibt schon 1928 Johannes Steinweg, der Direktor im Zentralausschuss für die Innere Mission.

Erholungsbedürftigkeit ist nicht nur ein Zeichen unserer heutigen schnelllebigen und stressigen Zeit, sondern ist schon ein viel älteres Thema. Ein Grundbedürfnis des Menschen ist schließlich die Erholung, und wenn er diese nicht bekommt, hat das meist körperliche oder seelische Schäden zur Folge. Betroffen sind davon aber nicht nur Erwachsene, sondern ebenso Kinder und Jugendliche.

Ein „eigenartiger Zustand zwischen Gesundheit und Krankheit“

Dr. Karl Behm bezeichnet 1926 in seinem „Leitfaden zur Arbeit an erholungsbedürftigen Kindern„ die Erholungsbedürftigkeit als einen nicht ganz so einfach zu erkennenden, eigenartigen Zustand zwischen Gesundheit und Krankheit. Bei Krankheit sei eine Heilmaßnahme nötig, die Erschöpfung wird hingegen durch Erholung beseitigt. Diesen erholungsbedürftigen Zustand könne man beispielsweise am Zustand der Ermüdung oder Übermüdung, an der Anfälligkeit für Krankheiten und an einer köperlich-geistig-seelischen Leistungsminderung erkennen.

Die Anfänge der Erholungsfürsorge

Mit der Industrialisierung in England nimmt alles seinen Anfang. Dort treten durch die beengte Lebenssituation und die harte, monotone Arbeit in der Industrie körperliche und seelische Schäden auf. Dieses Elend musste bekämpft und vor allem die Gesundheit der Kinder sollte durch geeignete Maßnahmen geschützt werden. Bereits 1791 wird deshalb an der Küste Englands die erste Heilstätte für schwächliche, kränkelnde Kinder gegründet.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts blüht auch die Industrie in Deutschland stark auf, viele Menschen ziehen vom Land in die Städte. Parallel zu dieser Entwicklung gründen sich immer mehr Wohlfahrtsanstalten, die sich um die sozialen Probleme wie Wohnungsnot, mangelhafte Lebens- und Hygieneverhältnisse und sich ausbreitende Krankheiten kümmern. Erholung wird im Zuge dieser Verelendung durch die Industrialisierung unerlässlich. Insbesondere die Arbeiterjugend ist wegen mangelhafter Lebens- und Hygieneverhältnisse zunehmend von psychischer und physischer Verwahrlosung bedroht.

Die Rolle der Inneren Mission in der Erholungsfürsorge

Die Innere Mission ist in der Erholungsfürsorge besonders aktiv. Schon 1938 gehören 317 Erholungsheime für Erwachsene mit 13.048 Betten zur Inneren Mission. Als die älteste christliche Erholungsstätte gilt die 1852 in Bad Boll bei Göppingen in Württemberg von Johann Christoph Blumhardt gegründete Einrichtung. Doch bei der Gründung der Erholungsheime geht es nicht nur darum, für die gesundheitlichen Bedürfnisse der Menschen zu sorgen. Zugleich sollen sie Orte christlicher Gemeinschaft sein und „innere Anregung„ schaffen. Der christliche Charakter der Erholungsheime kommt in der Hausandacht, aber auch im ganzen Geist und Ton des Hauses zur Geltung.

„Sollten wir nicht auch eine Heilanstalt für arme Kinder haben?“

Diese Frage stellt bereits 1834 der fromme Ludwigsburger Arzt Dr. August Hermann Werner und beantwortet sie selbst, indem er zwei Kinderheilanstalten in Württemberg einrichtet. Bald werden überall Kinderheilstätten und -erholungsheime gegründet. Dass die Innere Mission großen Wert auf diese Arbeit legt, beschreibt Johannes Steinweg 1928: „Viele Kinder, insbesondere aus den großen Städten, leiden schon in früher Jugend infolge ungesunder Luft und mangelhafter oder verkehrter Ernährung an körperlichen Schäden allerlei Art, besonders an Skrofulose, an Tuberkulosegefährung, Blutarmut usw. Hier kann erstaunlich viel geholfen werden, wenn die Hilfe rechtzeitig einsetzt. Die besten Heilmittel für Schwächlinge und kränkliche Kinder sind der Aufenthalt an der See, im Gebirge oder in Solbädern bei richtiger Körperpflege und Ernährung. Auch auf diesem Gebiete hat in Deutschland die Innere Mission die ersten Schritte getan.“

Schlaf, richtige Ernährung und Frischluft

Karl Behm beschreibt 1926 in seinem Klassiker über die Erholungsfürsorge, durch welche Faktoren der Erholungsaufenthalt für die Kinder auch wirklich gelingt. Als besonders wichtig nennt er die „natürlichen Erholungsmittel“: ausreichenden und erquickenden Schlaf, richtige Ernährung und frische Luft. Nicht zu vernachlässigen sind zudem Ordnung und Pünktlichkeit, allgemeine Körperpflege, Sonnenbäder, Luftbäder und Umgebungs- und Klimawechsel. Neben Sport in Form von Gymnastik und Wanderungen sollen Freude und Verinnerlichung sowie die Religion ihren Teil zum Erfolg der Erholungskur beitragen.

Insgesamt gibt es vor dem Zweiten Weltkrieg 215 evangelische Kindererholungsheime und Heilstätten mit 17.300 Betten. Sie werden zusammengefasst im „Deutschen Verband evangelischer Kindererholungsheime und Heilstätten“.

Zusätzlich dazu gab es noch die Ferienkolonien. Diese Idee wurde 1876 von dem Schweizer Pfarrer Bion entwickelt, der während der Ferien 68 arme Kinder unter Aufsicht von Lehrern in die Appenzeller Berge verschickte. Bald fand diese Idee, Großstadtkinder während der Ferien in größeren Gruppen auf dem Lande unterzubringen, viele Nachahmer.

Kinderverschickung

Besonders wichtig wurde die Kindererholungsfürsorge vor allem in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Die Plätze in den Heimen reichten bei weitem nicht aus für die Unterbringung der gesundheitlich geschädigten und gefährdeten Kinder. Deshalb wurden schon während des 1. Weltkrieges viele Kinder  aus den Großstädten und Industriegebieten, die besonders unter den Ernährungsschwierigkeiten zu leiden hatten, zur Erholung aufs Land geschickt. 1917 waren das beispielsweise über eine halbe Million Kinder. Später wurden sogar Kinder ins Ausland verschickt. „Sie konnten“, wie es in einem zeitgenössischen Bericht hieß, „sich erholen und in der heiteren Atmosphäre glücklicherer Länder den Druck abschütteln, der auch schon die Kinderseelen in unserem Vaterlande schwer belastete.“ Dabei wurde allerdings nicht bedacht, dass auch die Verschickung selbst oftmals eine Belastung darstellte. Vor allem kleine Kinder litten oft unter der wochenlangen Trennung von den Eltern. Als sich seit den 1950er Jahren die Erziehungsvorstellungen wandelten, erlebten Kinder aus behüteten, liberalen Familienverhältnissen es vielfach als Strafe, sich den zum Teil rigiden Ordnungsvorstellungen in den Erholungsheimen unterwerfen zu müssen. Das Leid vieler Betroffener dringt erst langsam ins öffentliche Bewusstsein und bedarf weiterer Aufarbeitung.

Müttererholung und -genesung

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine neue Zielgruppe wichtig - die Mütter. Sie litten besonders unter den Folgen des Krieges. In einer Müttergenesungskur konnten sie oftmals das erste Mal wieder in einem eigenen Bett ausschlafen, sich satt essen und Kraft für den Alltag sammeln. Die Zahl der Müttergenesungshäuser wuchs schnell, viele Frauen nutzten die Möglichkeit, seelisch und gesundheitlich aufzutanken. Durch das populäre Müttergenesungswerk konnten ausreichend Spendengelder für diese Arbeit gesammelt werden.

Erholung für die ganze Familie

Seit den 80er Jahren gibt es auch Mutter-Kind-Kuren, inzwischen sogar Väter-Kind-Kuren. So können sich die Eltern erholen und haben gleichzeitig ihre Kinder bei sich. Deutschlandweit bestehen außerdem von der Nordsee bis zu den Alpen 50 evangelische Familienferienstätten. In diesen preiswerten Unterkünften kommen vor allem einkommensschwache Familien untereinander ungezwungen in Kontakt und können das Freizeitprogramm, die Kinderbetreuung und verschiedene christliche Angebote nutzen.

Entspannt in die Zukunft?

Erholung ist und bleibt ein wichtiges Bedürfnis, und die Diakonie ist in diesem Bereich auch heute mit vielen Erholungs-,Genesungs- und Kurheimen präsent. Zwar ist die Zahl dieser Erholungsheime speziell für Kinder oder Erwachsene gesunken, doch die Zahl der Familienerholungsheime und die der Mütterkurheime bleibt konstant.

Damit widmet sich die Diakonie auch in den Zukunft dem Wunsch und Bedürfnis nach Erholung, Zur-Ruhe-Kommen und Auftanken.

Literatur:

Dr. Karl Behm: Erholungsfürsorge. Ein Leitfaden zur Arbeit an erholungsbedürftigen Kindern. Verlag Quelle&Meyer. Leipzig, 1926.

Dr. Johannes Steinweg: Die Innere Mission der evangelischen Kirche. Eine Einführung in ihr Wesen und ihre Arbeit sowie in ihre Zusammenhänge mit der Wohlfahrtspflege und Sozialpolitik. Eugen Salzer, Heilbronn 1928.

Nora Hartwich: Kindererholungsfürsorge. Erschienen in: Frauenhilfe. Blätter zur Frauenarbeit in der evangelischen Kirche. 1926.

Gottes Sonne unsern Kindern. Ein Handbuch für Kinder- und Jugenderholungspflege. Hrsg. vom Referat Kinderfürsorge. Freiburg i.Br. Deutscher Caritasverband. 1958.

Autorin: Annika Ochner

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