Telefonseelsorge

„Aus Worten können Wege werden“ – TelefonSeelsorge

Ein Beratungsangebot der besonderen Art ist die TelefonSeelsorge. Seit 50 Jahren bietet sie Ratsuchenden in Deutschland schnelle Hilfe. Die Schreibweise TelefonSeelsorge – mit einem großen S in der Mitte – soll nicht nur die Lesbarkeit des Wortes vereinfachen, sondern zeigt auch die beiden Teile dieses Angebotes: Telefon und Seelsorge. Beide gehören zum Konzept dieser Einrichtung.

Anfänge im 19. Jahrhundert

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts nutzte ein Baptistenpfarrer in New York das damals noch sehr junge Medium Telefon zur Kontaktaufnahme mit Selbstmordgefährdeten. Erst 1953 wurde seine Idee wieder aufgegriffen. Der Baptistenpfarrer West veröffentlichte in London eine Zeitungsnotiz "Before you commit suicide, ring me up!" (sinngemäß: "Bevor Sie Selbstmord begehen, rufen Sie an!"). Drei Jahre später verließ West England, so dass er seine Arbeit dort nicht fortsetzen konnte. Als Gründungsvater der Telefonseelsorge gilt daher der Londoner Geistliche Chad Varah, der am 2. November 1953 eine ähnliche Zeitungsanzeige aufgab.

Erste Hilfe-Telefone in Deutschland

Im Jahr 1956 wurde die erste Nummer zur „Ärztlichen Lebensmüdenberatung“ in Berlin bekannt gegeben. Gründer der ersten deutschen Stelle war der Arzt, Pfarrer und Psychotherapeut Klaus Thomas, der selber die Arbeit Varahs in London kennen gelernt hatte. Der Begriff Telefonseelsorge tauchte erst später in einem nicht gekennzeichneten Bericht als Bezeichnung für diese Art der Beratung auf. Es folgten weitere Gründungen von Beratungsstellen im Jahr 1957 in Kassel und Frankfurt.

Die Einrichtungen gingen vor allem auf das Engagement vor Ort zurück. Vorgehen und Struktur hingen daher stark von den Gründern ab. In der Anfangsphase ging es den Beratern vor allem darum, durch das Telefon nur den ersten Kontakt herzustellen und einen eventuell drohenden Selbstmord zu verhindern.

Danach sollten die Betroffenen eine Beratungsstelle aufsuchen. Dieses Vorgehen prägte besonders Einrichtungen in katholischer Trägerschaft.

Diese arbeiteten außerdem vor allem mit Hauptamtlichen, während bei evangelischen und ökumenischen Einrichtungen von Anfang meist Ehrenamtliche im Einsatz waren.

TelefonSeelsorge heute

Die Arbeit der TelefonSeelsorge heute beruht auf vier Säulen: Niederschwelligkeit, das helfende Gespräch, Ehrenamtlichkeit und institutionelle Verlässlichkeit.

Der Grundsatz der Niederschwelligkeit spiegelt die Überzeugung wider, dass Menschen eher über ihre Probleme sprechen, wenn sie selbst entscheiden können, wann und an welchem Ort das Gespräch stattfindet. Ratsuchende können zu jeder Zeit und von jedem Ort aus die TelefonSeelsorge kontaktieren. Ihnen steht es außerdem frei, das Gespräch jederzeit zu beenden. So wird Menschen Hilfe angeboten, die sich scheuen, direkten Kontakt in einer Beratungsstelle zu suchen.

Der zweite Schwerpunkt „Das helfende Gespräch“ stellt ebenfalls die Anrufenden in den Mittelpunkt. Der Berater steht den so genannten Klienten zur Seite und unterstützt sie beim Herausarbeiten eigener Entscheidungen. Meistens geht es nicht mehr – wie zu Anfang  – um die Selbstmordprävention, sondern um das Gefühl, „dass jemand da ist“. Hauptthemen sind soziale Beziehungen, wie beispielsweise Probleme in der Ehe. Oft spielen auch wirtschaftliche Faktoren eine Rolle. Im Laufe des Gespräches eröffnen sich neue Perspektiven. Darüber hinaus weisen die Mitarbeitenden der TelefonSeelsorge auf weitere Beratungsangebote, Fachleute oder Selbsthilfegruppen hin. Die Verfügungsgewalt über das Gespräch bleibt dabei aber immer beim Anrufenden. Die Mitarbeitenden der TelefonSeelsorge setzen darauf, die Selbsthilfekräfte der Anrufenden zu aktivieren.

Das Prinzip der Ehrenamtlichkeit ist keinesfalls eine Notlösung. Die TelefonSeelsorge ist kein psychotherapeutischer Fachdienst. Hier geht es weder um eine medizinische Diagnose noch um eine Therapie. Ehrenamtliche setzen ihre Motivation, ihr Engagement und ihre eigenen Erfahrungen ein, um die Klienten zu unterstützen. Gleichzeitig werden sie durch intensive Schulungen auf ihre Aufgabe vorbereitet.

Etwa zwei Drittel der ehrenamtlich in der TelefonSeelsorge Tätigen sind Frauen. Als Hauptmotive für ihre Arbeit nennen die meisten „christliches Engagement“ und „soziale Verantwortung“. Hinzu kommt, dass viele die Aus- und Weiterbildung sowie die ständige Begleitung der Arbeit – in der sogenannten Supervision – als eine Art indirekter Belohnung erfahren. Für sie zeigt sich die in der Diakonie verwurzelte Erkenntnis, dass „der Helfende der Beschenkte ist“.

Die vierte Säule der TelefonSeelsorge ist die institutionalisierte Verlässlichkeit. TelefonSeelsorge ist eine Institution. Hilfesuchende können sicher sein, zu jeder Zeit einen Gesprächspartner zu erreichen. Der Name TelefonSeelsorge steht unter dem Schutz des Markenrechts. Inzwischen gibt es zwei bundesweit bekannte, einheitliche Telefonnummern der TelefonSeelsorge: 0800 – 111 0 111 (evangelisch) und 0800 – 111 0 222 (katholisch). Anrufende werden an lokale TelefonSeelsorgestellen weitergeleitet.

Struktur der Institution TelefonSeelsorge

Im Jahr 2005 gab es in Deutschland 105 TelefonSeelsorgestellen. Seit den ersten Gründungen lag die Trägerschaft bei den beiden großen Kirchen. Inzwischen arbeiten rund zwei Drittel der TelefonSeelsorgestellen in ökumenischer Trägerschaft. Träger auf evangelischer Seite sind Kirchenkreise und Dekanate, Gemeinde- und Gesamtverbände, Stadtmissionen und Diakonische Werke. Auf katholischer Seite werden die Einrichtungen meist direkt von der (Erz-)Diözese getragen.

Zur Vertretung der evangelischen TelefonSeelsorge auf Bundesebene wurde die Evangelische Konferenz für TelefonSeelsorge und Offene Tür gegründet. Die Geschäftsführung liegt beim Diakonischen Werk der EKD.  Parallel gibt es eine Katholische Konferenz für TelefonSeelsorge und Offene Tür. Die Zusammenarbeit beider Gremien sowie der Mitarbeitenden in den einzelnen TelefonSeelsorgestellen ist ein überzeugendes Beispiel lebendiger Ökumene.

Schon seit 1977 gibt es die beiden bundesweit geltenden Sonderrufnummern für die TelefonSeelsorge. Bis dahin gab es so etwas nur für die Notrufnummern 110 und 112.

20 Jahre nach der Einführung der einheitlichen Telefonnummern, am 7. Juli 1997, unterzeichnete die Deutsche Telekom einen Kooperationsvertrag mit der TelefonSeelsorge. Seitdem sind die Gespräche mit der TelefonSeelsorge für den Anrufenden kostenlos. Gleichzeitig wird so die absolute Anonymität der Hilfesuchenden sichergestellt. Ein solcher Anruf erscheint auf keiner Rechnung. Das gilt auch für Anrufe vom Mobiltelefon.

Beratung auch online

Seit 1995  gibt es außerdem die Möglichkeit der Beratung per Mail und Chat unter www.telefonseelsorge.de. Dieses neue Angebot wird auf besondere Art dem Anspruch der Niederschwelligkeit gerecht. Denn nun können sich selbst die Menschen an die TelefonSeelsorge wenden, die sich nicht in der Lage fühlen, ihre Probleme laut auszusprechen.

Auch bei der Online-Beratung gelten die Prinzipien der TelefonSeelsorge: Anonymität, Verschwiegenheit, Erreichbarkeit rund um die Uhr, Offenheit, Kompetenz, Ideologiefreiheit und Kostenfreiheit. Für die Ratsuchenden entstehen keine Kosten, außer für ihre Internetverbindung bei ihrem Provider. Um die Anonymität zu sichern, legen sich die Klienten auf einem speziellen Server einen (internen) Zugang an, für den keine (externe) E-mail-Adresse benötigt wird.

Literatur:

Traugott Weber (Hrsg.):  Handbuch Telefonseelsorge, Göttingen 2006.

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