Ein Altenpfleger hilft einem Klienten ins Bett
© Gerhard Westrich

Wissen kompakt: Pflegeversicherung

Die Pflegeversicherung sichert Menschen gegen Folgen von Pflegebedürftigkeit ab. Hintergründe bietet dieses Wissen kompakt.

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Was ist die Pflegeversicherung?

Die Pflegeversicherung wurde 1995 eingeführt, um Menschen gegen die Folgen von Pflegebedürftigkeit abzusichern. Sie ist die fünfte Säule der Sozialversicherung – neben der Kranken-, Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherung – und wird von den Pflegekassen getragen. Sie wurde 1995 als eine umlagefinanzierte Pflichtversicherung eingeführt. Dabei wurde sie als "Teilleistungsversicherung" konzipiert, das heißt die Leistungen der Pflegeversicherung decken nur einen Teil der Kosten ab, die für die Pflege eines Menschen nötig sind. Kosten, die darüber hinausgehen, müssen in erster Linie von den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen getragen werden. Unter bestimmten Voraussetzungen springt die Sozialhilfe ein.

Mit dem Pflegestärkungsgesetz 2 wurde eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung zum 01.01.2017 vorgenommen. Es wurde ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt, anstatt drei Pflegestufen gibt es nun fünf Pflegegrade und die Leistungshöhen werden verändert.  Außerdem gibt es seither einen einrichtungseinheitlichen Eigenanteil.
Nach 2017 wurde verschiedene eher kleinere Pflegeversicherungsreformen durch geführt, zuletzt durch das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) im Sommer 2023.

Organisation und Finanzierung

Die Pflegeversicherung ist eine Pflichtversicherung. Wer gesetzlich krankenversichert ist, ist automatisch auch bei der Pflegeversicherung, die sich unter dem Dach der jeweiligen Krankenversicherung befindet, gesetzlich pflegeversichert. Wer eine private Krankenversicherung abgeschlossen hat, muss sich bei der der jeweiligen privaten Krankenversicherung zugeordneten privaten Versicherung auch privat pflegeversichern. Der Beitragssatz liegt seit dem 1. Juli 2023 bei 3,4 Prozent des Bruttoeinkommens, bei Kinderlosen bei 4 Prozent des Bruttoeinkommens (Beitragssatz plus Beitragszuschlag für Kinderlose). Arbeitnehmerinnen beziehungsweise Arbeitnehmer und Arbeitgeber tragen den Beitrag – ohne den Kinderlosenzuschlag; diesen tragen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer alleine – grundsätzlich zur Hälfte, also jeweils 1,7 Prozent. Eine abweichende Regelung gilt im Bundesland Sachsen, das bei der Einführung der Pflegeversicherung keinen Feiertag gestrichen hatte. Dort entfallen von den 3,4 Prozent Pflegeversicherungsbeitrag 2,2 Prozent auf die Beschäftigten und 1,2 Prozent auf die Arbeitgeber.

Warum war der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff erforderlich?

Der bis Ende 2016 gültige Pflegebedürftigkeitsbegriff ist vor allem auf körperliche Einschränkungen bezogen. Gerontopsychiatrische und psychische Beeinträchtigungen werden nur eingeschränkt berücksichtigt. Deshalb bekommen Menschen mit Demenzerkrankungen heute vergleichsweise geringe Leistungen von der Pflegeversicherung. Das ändert sich mit der Reform grundlegend. Körperliche, kognitive und psychische Beeinträchtigungen werden gleichermaßen und umfassend berücksichtigt. 

Was hat sich durch die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs geändert?

Zum 1. Januar 2017 wurde das Begutachtungsverfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit geändert: Maßstab ist künftig der Grad der Selbstständigkeit des Pflegebedürftigen. In Zukunft wird es fünf Pflegegrade geben, was eine differenziertere Einschätzung des benötigten Pflegeaufwandes ermöglicht. Bei der Begutachtung kommt es dann nicht mehr darauf an festzustellen, wie viele Minuten Hilfebedarf ein Mensch beim Waschen und Anziehen oder bei der Nahrungsaufnahme hat. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie selbstständig der Mensch bei der Bewältigung seines Alltags ist – was kann er und was kann er nicht mehr? 

Maßgeblich für das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit sind die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten in den nachfolgenden sechs Bereichen:

  1. Mobilität: Wie selbstständig kann der Mensch sich fortbewegen und seine Körperhaltung ändern?
  2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Wie findet sich der Mensch in seinem Alltag örtlich und zeitlich zurecht? Kann er für sich selbst Entscheidungen treffen? Kann die Person Gespräche führen und Bedürfnisse mitteilen?
  3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: Wie häufig benötigt der Mensch Hilfe aufgrund von psychischen Problemen, wie etwa aggressives oder ängstliches Verhalten?
  4. Selbstversorgung: Wie selbstständig kann sich der Mensch im Alltag selbst versorgen bei der Körperpflege, beim Essen und Trinken?
  5. Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: Welche Unterstützung wird benötigt beim Umgang mit der Krankheit und bei Behandlungen? Zum Beispiel Medikamentengabe, Verbandswechsel, Dialyse, Beatmung?
  6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Wie selbstständig kann der Mensch noch den Tagesablauf planen oder Kontakte pflegen?

Aufgrund einer Gesamtbewertung aller Fähigkeiten und Beeinträchtigungen erfolgt die Zuordnung zu einem der fünf Pflegegrade.

Wie errechnet sich der jeweilige Pflegegrad?

Die Zuordnung zu einem Pflegegrad erfolgt anhand eines Punktesystems. Für jeden der sechs Bereiche (auch Module genannt) wird ein Punktwert ermittelt. Die Höhe der Punkte orientiert sich daran, wie sehr die Selbstständigkeit eingeschränkt ist. Grundsätzlich gilt: Je höher die Punktzahl, desto schwerwiegender die Beeinträchtigung.

Die sechs Module werden dann unterschiedlich gewichtet. Eine Besonderheit besteht darin, dass nicht beide Werte der Bereiche 2 (Kognitive und kommunikative Fähigkeiten) und 3 (Verhaltensweisen und psychische Problemlagen), sondern nur der höchste der beiden Punktwerte in die Berechnung eingeht. Die Berechnung des Pflegebedarfs setzt sich also immer aus fünf unterschiedlich gewichteten Punktwerten bzw. Modulen zusammen. Aus dem Gesamtpunktwert wird das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit bestimmt und der Pflegegrad abgeleitet. Insgesamt können 100 Punkte (=100%) erreicht werden.

Wann liegt Pflegebedürftigkeit vor?

Pflegebedürftigkeit liegt vor, wenn der Gesamtpunktwert mindestens 12,5 Punkte beträgt. Der Grad der Pflegebedürftigkeit bestimmt sich wie folgt:

Pflegebedürftige Kinder im Alter bis zu 18 Monaten werden pauschal einen Pflegegrad höher eingestuft.  Pflegebedürftige, die einen spezifischen, außergewöhnlich hohen personellen Unterstützungsbedarf mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung aufweisen, werden unabhängig vom Erreichen des Schwellenwertes von 90 Punkten dem Pflegegrad 5 zugeordnet. Diese sogenannte besondere Bedarfskonstellation liegt nur beim vollständigen Verlust der Greif-, Steh- und Gehfunktionen vor.

Die Leistungen ab dem Januar 2024 finden Sie im PDF Wissen kompakt: Pflegeverischerung.

Um Pflegebedürftige vor Überforderung durch steigende Pflegekosten in der vollstationären Pflege zu schützen, zahlt die Pflegeversicherung neben dem nach Pflegegrad differenzierten Leistungsbetrag seit Januar 2022 einen Leistungszuschlag zum pflegebedingten Eigenanteil der pflegebedürftigen Person, der mit der Dauer der vollstationären Pflege steigt: Am dem 01. Januar 2024 trägt die Pflegekasse im ersten Jahr 15 Prozent des pflegebedürftigen Eigenanteils, im zweiten Jahr 30 Prozent, im dritten Jahr 50 Prozent und danach 75 Prozent.

Hintergrund und Zahlen

Rund 4.9. Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig. Rund 3,8 Millionen werden zuhause betreut. Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen wird nach Schätzungen bis zum Jahr 2035 auf rund 5,6 Millionen steigen. In Deutschland leben heute etwa 1,8 Millionen Menschen mit Demenz.

Bewertung

Bewertung des 2017 geltenden Pflegebedürftigkeitsbegriffs

Die Diakonie Deutschland begrüßt, dass mit Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und des Neuen Begutachtungsinstruments der notwendige Paradigmenwechsel in der Pflegeversicherung endlich eingeleitet wird. Damit wird die seit 20 Jahren bestehende systemisch bedingte Ungleichbehandlung von somatisch und kognitiv beeinträchtigten Menschen aufgehoben wird. Pflegerische Betreuungsmaßnahmen werden als neue gleichrangige Leistung ins SGB XI eingeführt und stehen künftig allen pflegebedürftigen Menschen zur Verfügung. Die alte defizitorientierte Sichtweise auf Pflege wird abgelöst durch ein neues Verständnis von Pflege, das den Blick auf die noch bestehenden Fähigkeiten und Ressourcen lenkt, um die Selbständigkeit der Person zu erhalten oder wiederherzustellen.

Bewertung des Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz (PUEG)

Mit dem im Sommer 2023 verabschiedeten PUEG erfolgte nicht die dringend notwendige Strukturreform der sozialen Pflegeversicherung, vor allem hinsichtlich der Finanzierung von Pflege. Um die soziale Pflegeversicherung langfristig auf eine tragfähige Basis zu stellen, ist eine ernsthafte Debatte über die zukünftige Finanzierung der Pflegeversicherung zwingend notwendig. Dabei ist aus unserer Sicht vor allem die Einnahmebasis der Pflegeversicherung stärker zu verbreitern.

Das muss bei einer grundlegenden Reform unmittelbar mitgedacht und kommuniziert werden. Der für die Pflegereform vorgesehene Finanzrahmen eines moderaten Anstiegs des allgemeinen Beitragssatzes um 0,35 Prozentsatzpunkte ist zu gering, um die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Vorhaben umzusetzen. Das Gesetz muss sich daran und an den darin teilweise sehr weitreichenden, aber hier fehlenden Verbesserungen messen lassen. Zu nennen wären hier z. B. handfeste Strukturelemente zur Begrenzung der Eigenanteile, die Herausnahme der Ausbildungskosten aus den Eigenanteilen, aber auch Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen (Klärung des Verhältnisses Pflege und Eingliederungshilfe. Das Gesetz bleibt hier schließlich hinter den selbst gesteckten Zielen der Bundesregierung deutlich zurück. Um diese Herausforderungen meistern zu können, hätte es dringend Bundesmittel für die Pflegeversicherung gebraucht:

Entgegen den Versprechungen des Koalitionsvertrags fehlen allein 5,5 Mrd. Euro, um die pandemiebedingten Kosten zu decken, die bis heute noch nicht vom Bund erstattet sind. Des Weiteren hat die Bundesregierung auch nicht die im Koalitionsvertrag vereinbarten Kosten für die Rentenbeiträge pflegender Angehöriger zur Verfügung gestellt. Diese würden die Pflegeversicherung um 3,6 Mrd. Euro entlasten.

Weitere dringend erforderliche Reformschritte in der Pflege zur Stärkung der häuslichen Pflege sind zudem nicht vorhanden. Die Entlastung der Pflegebedürftigen von den Eigenanteilen kommt mit den im Gesetz beabsichtigten Leistungsverbesserungen nicht entscheidend voran. Wir brauchen eine Finanzierung der Pflegeleistungen, mit der das Problem der Eigenanteilsbelastung gelöst wird und mit der die Pflegeversicherung wieder ihrer Funktion gerecht werden kann.

Es ist insgesamt von entscheidender Bedeutung, dass die soziale Pflegeversicherung entsprechend finanziell gesichert ist. Für 2022 beträgt das Defizit der sozialen Pflegeversicherung 2,25 Mrd. Euro, für 2023 wird ein Defizit in Höhe von 3 Mrd. Euro erwartet. Der Finanzierungsbedarf allein für die kurzfristige Stabilisierung der Finanzen im Jahr 2023 beträgt mindestens 4,5 Mrd. Euro, wenn die Ausgabendeckungsquote des Betriebsmittel- und Rücklagensolls wieder bei einem Wert von 1,5 liegen soll.

Mehr Informationen

Ansprechpartnerin

Erika Stempfle

Ambulante gesundheits- und sozialpflegerische Dienste, ambulante Altenhilfe

erika.stempfle@diakonie.de 030 652111672

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