Bundesteilhabegesetz (BTHG)
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Ab Januar 2020 treten weitere wichtige Änderungen des des Bundesteilhabegesetzes in Kraft. Das Gesetz soll die Selbständigkeit von behinderten Menschen in allen Lebensbereichen unterstützen. In dieser Übersicht finden Sie ausführliche Informationen zu den neuen Gesetzesänderungen sowie eine kritische Bewertung. Suchen Sie Hilfe, Rat oder Angebote? Wir sind vor Ort für Sie da.
Was ist das Bundesteilhabegesetz?
Ziel des Bundesteilhabegesetzes (Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen) ist es, die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen stufenweise aus dem Sozialhilferecht (SGB XII) herauszulösen und als Teil 2 im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zu überführen. Dies betrifft alle Eingliederungshilfeleistungen zur selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit Behinderungen wie zum Beispiel Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Teilhabe am Arbeitsleben, Teilhabe an Bildung sowie zur Sozialen Teilhabe. Des Weiteren sind auch Neuregelungen zur Bedarfsfeststellung, zur Gesamtplanung der Leistungen, zum Vertragsrecht und zur Einkommens- und Vermögensanrechnung enthalten.
Das übergeordnete Ziel besteht darin, die deutsche Rechtslage an den Inhalten der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) auszurichten und im BTHG zu konkretisieren.
Was sind die Kernpunkte des Bundesteilhabegesetzes?
- Um die Menschen mit Behinderung in ihren Belangen besser zu unterstützen, werden künftig unabhängige Beratungsstellen vom Bund finanziert. Diese "ergänzende unabhängige Teilhabeberatung" soll Menschen mit Behinderung eine kostenlose, unabhängige und qualifizierte Beratung zu ihren Ansprüchen auf Teilhabeleistungen garantieren.
- Der Behinderungsbegriff im BTHG soll sich künftig stärker am Sozialen Modell von Behinderung der UN BRK ausrichten.
- Der Bedarf an Leistungen der Eingliederungshilfe soll individuell erhoben werden. Dabei sind die Menschen mit Behinderung beziehungsweise ihre Vertreter einzubeziehen. Die Fachleistungen zur Teilhabe sollen mit ICF basierten Instrumenten und Verfahren nach bundeseinheitlichen Grundsätzen ermittelt und in einem Gesamtplan dokumentiert werden.
- Die Leistungen der Eingliederungshilfe sollen künftig stärker personenzentriert ausgestaltet werden. Nach dem neuen Gesetz sollen sich die Leistungen zur Teilhabe nicht mehr an der Wohnform orientieren, (Einrichtung, Betreutes Wohnen, Privathaushalt), sondern am individuellen Bedarf, den persönlichen Verhältnissen, dem Sozialraum und den Kräften und Mitteln des Leistungsberechtigten ausgerichtet sein.
- Die Eingliederungshilfeleistungen zur Teilhabe und die existenzsichernden Leistungen (Kosten der Unterkunft und Verpflegung) werden getrennt. Die Eingliederungshilfe konzentriert sich künftig auf die reinen Fachleistungen zur Teilhabe. Dies gilt unabhängig von der Wohnform und umfasst auch die bisherigen stationären Wohneinrichtungen, die künftig als besondere Wohnformen bezeichnet werden.
- Wer nicht erwerbstätig sein kann, hat Anspruch darauf, in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt zu werden. Künftig soll es Alternativen neben der Werkstatt geben. So soll unter anderem ein "Budget für Arbeit" eingeführt werden, das neben Unterstützungsleistungen einen unbefristeten Lohnkostenzuschuss für den Arbeitgeber enthält, der einen erheblich behinderten Menschen beschäftigt.
- Leistungsberechtigte haben sich an den Kosten der Eingliederungshilfeleistungen zu beteiligen. Davon ausgenommen sind unter anderem heilpädagogische Leistungen sowie Leistungen zur Bildung, zur schulischen Ausbildung für einen Beruf, Leistungen zum Erwerb und Erhalt von praktischen Fähigkeiten und Kenntnissen und - bei Kindern im Vorschulalter - Leistungen zur Teilhabe in der Gemeinschaft.
- Mit dem BTHG wird der Beitrag neu geregelt. Er orientiert sich am Gesamteinkommen bestehend aus dem Erwerbseinkommen, anderen Einkommen und dem vielleicht vorhandenen Vermögen der Person. Ab 2020 sollen Einkommen und Vermögen der Ehe- und Lebenspartner in der Eingliederungshilfe anrechnungsfrei bleiben. Es bleibt abzuwarten, ob die stufenweise Einführung von höheren Freigrenzen zu einer Verbesserung der Einkommenssituation der Leistungsbezieher führt.
- Leistungen zur Sozialen Teilhabe sollen Menschen mit Behinderung eine gleichberechtigte Teilhabe am gemeinschaftlichen Leben ermöglichen oder erleichtern. Im Mittelpunkt steht die selbstbestimmte und eigenverantwortliche Lebensführung sowohl im eigenen Wohnraum als auch im sozialen Raum. Zu den Sozialen Teilhabeleistungen zählen bspw. Leistungen für Wohnraum, Assistenzleistungen, Heilpädagogische Leistungen, Leistungen zur Betreuung in einer Pflegefamilie, Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, Leistungen zur Förderung der Verständigung, Leistungen zur Mobilität, Hilfsmittel und Besuchsbeihilfen.
- Mit dem novellierten SGB IX soll keine neue Ausgabendynamik entstehen. Insofern sieht das Gesetz eine Stärkung der Steuerungsfunktion der Leistungsträger gegenüber den Leistungserbringern vor. Leistungen sollen für die Betroffenen einerseits personenzentriert erbracht werden und zugleich dem Gebot der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit folgen.
Bewertung der Diakonie Deutschland
- Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen müssen dem Grundsatz der individuellen Bedarfsdeckung verpflichtet sein. Sie dürfen nicht durch festgelegte Pauschalbeträge und oder gepoolte Leistungen aufgeweicht werden.
- Leistungsberechtigte müssen ein echtes Wunsch-und Wahlrecht hinsichtlich Art, Umfang, Inhalt und Ort der Leistungen/ Leistungserbringung haben. Die Entscheidungen, wo und mit wem jemand leben und unterstützt werden möchte, ist ein Menschenrecht. Die Regelungen des BTHG (sogenannter Mehrkostenvorbehalt) führen allerdings eher dazu, dass über den Kopf von Menschen mit Behinderungen zur Wohn- und Lebensform entschieden wird und de facto Leistungen in bestimmten Einrichtungen in Anspruch genommen werden müssen. Dies ist ein Verstoß gegen Art. 19 UN BRK. Wohnort und Wohnform müssen selbstbestimmt wählbar sein.
- Im Zuge der Trennung der Leistungen sind sowohl die Fachleistungen als auch die existenzsichernden Leistungen bedarfsdeckend und unter Berücksichtigung der behinderungsspezifischen Bedarfe auskömmlich zu bemessen, um Leistungslücken zu verhindern. Dies gilt insbesondere für Menschen, die Tag und Nacht Assistenz- Unterstützungsleistungen in den künftigen besonderen Wohnformen benötigen.
- Menschen mit Behinderung müssen zum Leben in der eigenen Wohnung oder Wohngemeinschaft die Pflege- und Eingliederungshilfeleistungen erhalten, die sie benötigen. Sie dürfen nicht vorrangig auf die Leistungen der Pflegeversicherung verwiesen werden. Keinesfalls dürfen die Leistungen der Pflegeversicherung Für Menschen mit Behinderungen, die in ambulanten Wohnformen leben, durch den Pauschalbetrag von maximal 266 Euro monatlich gedeckelt werden. Genau das ist jedoch derzeit mit den Änderungen im SGB XI und deren Verschränkungen ins BTHG zu befürchten.
- Menschen mit Behinderung, die Eingliederungshilfe und gleichzeitig Hilfe zur Pflege nach SGB XII erhalten, profitieren nur dann von der besseren Einkommens- und Vermögensanrechnung in der Eingliederungshilfe, wenn sie erwerbstätig sind. Das ist diskriminierend.
- Teilhabeleistungen sind als echte Nachteilsausgleiche einkommens- und vermögensunabhängig zu gewähren. Soziale Teilhabe darf nicht, wie bisher, auf das sozialrechtlich ermittelte Minimum begrenzt sein.
- Die Qualität der Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderung darf nicht durch vorgeschriebene externe Kostenvergleiche, bei denen nur ein Preis im untersten Drittel des Vergleichs anerkannt wird, abgesenkt werden. Damit würde eine Vergütungsspirale nach unten in Gang gesetzt, die sich zwangsläufig auf das Niveau der Leistungserbringung auswirken muss. Wirtschaftlichkeit darf nicht mit dem Erreichen immer niedrigerer Vergütungssätze und Preise gleichgesetzt werden.
- Keinesfalls dürfen Wirkungskontrollen der Leistungsträger zu einer unangemessenen Angebotssteuerung führen. Bis heute existieren keine einheitlichen Maßstäbe zu Wirksamkeit, auch das BTHG konkretisiert diese nicht.
Fazit aus fachpolitischer Sicht:
Teilhabe im Sinne der UN BRK ist ein Menschrecht. Der menschenrechtsbasierte Ansatz der UN-BRK muss sich durchgängig im Leistungsrecht des BTHG bei der Beratung, Bedarfsfeststellung, Teilhabeplanung, Leistungsgewährung, Dienstleistungserbringung und Finanzierung von Teilhabeleistungen abbilden. Hierzu besteht Nachbesserungsbedarf im BTHG.
Das neue SGB IX ist folgendermaßen aufgebaut:
- SGB IX Teil 1 (§§ 1-89) umfasst das für alle Rehabilitationsträger geltende Rehabilitations- und Teilhaberecht zusammen (Allgemeiner Teil/Verfahrensrecht).
- SGB IX Teil 2 (§§ 90-150) regelt das aus dem SGB XII herausgelöste und reformierte Eingliederungshilferecht unter dem Titel: "Besondere Leistungen zur selbstbestimmten Lebensführung von Menschen mit Behinderungen" (Eingliederungshilferecht). Mit dem reformierten Eingliederungshilferecht wird das SGB IX zu einem Leistungsgesetz. Das neue Eingliederungshilferecht wird (überwiegend) am 01.01.2020 in Kraft treten.
- SGB IX Teil 3 (§§ 151-241) umfasst das Schwerbehindertenrecht.
Änderungen im Überblick (Quelle: REHADAT)
- reformiert den Allgemeinen Teil des SGB IX (SGB IX Teil 1)
- führt einen Behinderungsbegriff in das SGB IX ein, der sich am Sozialen Modell v
- on Behinderung der UN-BRK und der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit und Behinderung und Gesundheit (ICF) orientiert
- verortet die Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung im Rehabilitations- und Teilhaberecht und nicht mehr im Sozialhilferecht
- führt eine Trennung der Eingliederungshilfeleistungen zur Teilhabe von den existenzsichernden Leistungen ein
- verändert die Regelungen zur Kostenheranziehung von Menschen mit Behinderung und ihren Angehörigen
- führt Maßstäbe und Grundsätze für Instrumente und Verfahren zur Beantragung und Bedarfsermittlung der Leistungen zur Teilhabe ein
- verändert das Vertragsrecht zwischen Einrichtungen /Diensten und den Trägern der Eingliederungshilfe (erweiterte Prüf- und Sanktionsrechte des Leistungsträgers)
- verändert die Schnittstelle zur Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung
ab Januar 2017:
- Vorgezogene Änderungen im Schwerbehindertenrecht
- erste Stufe bei der Einkommens- und Vermögensberücksichtigung im SGB XII
ab April 2017:
- Erhöhung des Schonvermögens für Bezieher von SGB-XII-Leistungen von bisher 2.600 Euro auf 5.000 Euro
- Unwirksamkeitsklausel (§ 95 Absatz 2 Satz 3 SGB IX a. F.; § 178 Absatz 2 Satz 3 SGB IX n. F.): Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ohne eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung (SBV) aussprechen, ist unwirksam.
- Senkung des Schwellenwerts für die Freistellung (§ 96 Absatz 4 SGB IX a. F.; § 179 Absatz 4 SGB IX n. F.): Der Schwellenwert für die Freistellung der Vertrauensperson ist von bis dato 200 schwerbehinderten Menschen im Betrieb auf 100 abgesenkt worden.
- Senkung des Schwellenwerts für die Heranziehung von Stellvertreterinnen und Stellvertretern (§ 95 Absatz 1 Satz 4 SGB IX a. F.; § 178 Absatz 1 Satz 4 SGB IX n. F.): Die Schwellenwerte für die Heranziehung der Stellvertreterinnen und Stellvertreter sind nun nach oben gestaffelt, so dass die Vertrauenspersonen in größeren Betrieben nun mehr Stellvertreterinnen und Stellvertreter heranziehen können (bis dato: maximal zwei).
- Schulung der Stellvertreterinnen und Stellvertreter (§ 96 Absatz 4 SGB IX a. F.; § 179 Absatz 4 SGB IX n. F.): Auch Stellvertreter und Stellvertreterinnen der Vertrauenspersonen haben Anspruch auf Schulungen.
- Bürokraft (§ 96 Absatz 8 Satz 3 SGB IX a. F.; § 179 Absatz 8 Satz 3 SGB IX n. F.): Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber übernehmen nun auch die Kosten einer Bürokraft für die SBV in erforderlichem Umfang.
- Übergangsmandat der SBV (§ 94 Absatz 8 SGB IX a. F.; § 177 Absatz 8 SGB IX n. F.): Es ist ein Übergangsmandat bei Betriebsübergang für Schwerbehindertenvertretungen in der gewerblichen Wirtschaft geschaffen worden, wie es für den Betriebsrat in § 21a Betriebsverfassungsgesetz geregelt ist.
- Wahlverfahren Konzern-SBV (§ 97 Absatz 7 SGB IX a. F.; § 180 Absatz 7 SGB IX n. F.): Bei der Wahl der Konzern-, Gesamt-, Bezirks- und Hauptschwerbehindertenvertretungen kann nun ein vereinfachtes Wahlverfahren durchgeführt werden, selbst wenn der Betrieb oder die Dienststelle aus räumlich weit auseinanderliegenden Teilen besteht. Ab 50 Wahlberechtigten muss jedoch weiterhin im förmlichen Wahlverfahren gewählt werden.
- Inklusion: Der Inklusionsgedanke ist im Betriebsverfassungsgesetz stärker verankert worden (ausdrückliche Aufnahme der Inklusion behinderter Menschen in den Katalog möglicher Themen für eine Betriebsvereinbarung und bei der Personalplanung).
- Inklusionsvereinbarung (§ 83 Absatz 1 Satz 5 SGB IX a. F.; § 166 Absatz 1 Satz 5 SGB IX n. F.): Die Bezeichnung "Inklusionsvereinbarung" ersetzt im SGB IX den Begriff "Integrationsvereinbarung". Das Integrationsamt soll nun im Falle von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern sowie der SBV zwischen den beiden Parteien moderieren und vermitteln.
- Leistungen zur beruflichen Orientierung (§ 102 Absatz 3 SGB IX a. F.; § 185 Absatz 3 SGB IX n. F.): Das Integrationsamt kann im Rahmen seiner Zuständigkeit für die Begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nachrangig nun auch Leistungen zur beruflichen Orientierung erbringen
Umfang des Werkstattrats: Der Werkstattrat bestand bis dato aus höchstens sieben Mitgliedern. Nun besteht der Werkstattrat in größeren Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM)
- bei bis zu 700 Wahlberechtigten aus bis zu sieben Mitgliedern,
- bei 701 bis 1000 Wahlberechtigten aus neun Mitgliedern,
- bei 1001 bis 1500 Wahlberechtigten aus elf Mitgliedern und
- bei mehr als 1500 Beschäftigten aus 13 Mitgliedern.
- Stärkung der Mitwirkung und Mitbestimmung: Es wird nun zwischen einem Mitwirkungs- und einem Mitbestimmungsrecht in besonders wichtigen Angelegenheiten unterschieden. Die Mitbestimmung betrifft beispielsweise Regelungen bzgl. Beginn und Ende der Arbeitszeit, Pausenzeiten, Arbeitsentgelt, Aufstellung und Änderung der Werkstattordnung.
- Freistellung für die Schulung von Werkstatträtinnen und -räten: Der Anspruch der Werkstatträtinnen und -räte auf Freistellung zur Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen ist von zehn auf 15 Tage pro Amtszeit erhöht worden. Für neue Werkstatträtinnen und -räte bleibt es wie bis dato bei 20 Tagen. Neben der oder dem Vorsitzenden des Werkstattrats hat in Werkstätten mit mehr als 700 Wahlberechtigten nun auch die Stellvertretung einen Anspruch auf Freistellung.
- Vertrauensperson des Werkstattrats: Die dem Werkstattrat zur Seite zu stellende Vertrauensperson muss nicht mehr aus dem Fachpersonal der Werkstatt stammen. Sie kann auch von außerhalb kommen.
- Frauenbeauftragte: Das Amt der Frauenbeauftragten ist eingeführt worden.
- Arbeitsentgelt: Der Freibetrag bei der Anrechnung des Arbeitsentgeltes auf die ergänzenden Leistungen der Grundsicherung wird erhöht, das Arbeitsentgelt aus der Werkstattbeschäftigung wird nun in einem geringeren Umfang auf die Leistungen der Grundsicherung angerechnet als bisher. Die Werkstattbeschäftigten haben dadurch mehr Einkommen zur Verfügung.
- Arbeitsförderungsgeld: Das Arbeitsförderungsgeld für Werkstattbeschäftigte wird von bisher 26 Euro auf nun 52 Euro im Monat verdoppelt. Das erhöht das Einkommen der Werkstattbeschäftigten.
- Merkzeichen "aG" (§ 229 SGB IX n. F.): Für das Merkzeichen "aG" wurde klargestellt, dass eine außergewöhnliche Gehbehinderung nicht nur aufgrund von orthopädischen, sondern beispielsweise auch wegen schwerer Beeinträchtigung innerer Organe vorliegen kann.
- Merkzeichen "TBl" (§ 3 SchwbAwVO): Das Merkzeichen "TBl" für taubblinde Menschen wurde neu eingeführt. Das Merkzeichen wird im Schwerbehindertenausweis eingetragen, wenn bei einem schwerbehinderten Menschen wegen einer Störung der Hörfunktion ein Grad der Behinderung (GcB) von mindestens 70 und wegen einer Störung des Sehvermögens ein GdB von 100 anerkannt ist.
- In dem Ärztlichen Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin, der das BMAS bei der Fortentwicklung der Versorgungsmedizinische Grundsätze (VMG) berät, werden nun zwei sachkundige Personen mitberatend tätig sein, die von den Betroffenenverbänden benannt worden sind. Damit soll die Sichtweise der Betroffenen auf die Teilhabebeeinträchtigungen besser berücksichtigt werden.
- Freibetrag für Erwerbseinkommen: Für Bezieher/innen von Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Pflege wurde ein neuer Freibetrag für Erwerbseinkommen eingeführt. Dieser beträgt 40 Prozent des unbereinigten Bruttoeinkommens gedeckelt auf 65 Prozent der Regelbedarfsstufe 1 (bis dato rund 260 Euro monatlich).
- Vermögensfreibetrag: Der Vermögensfreibetrag für Bezieherinnen und Bezieher von Eingliederungshilfe ist von 2.600 Euro auf zunächst 27.600 Euro erhöht worden. In der Hilfe zur Pflege greift der erhöhte Vermögensfreibetrag nur für Vermögen aus Erwerbstätigkeit.
- Einführung des SGB IX Teil 1 (Allgemeiner Teil/Verfahrensrecht) und SGB IX Teil 3 (Schwerbehindertenrecht)
- Neu eingeführt wird die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) nach § 32SGB IX
- Änderungen im Hinblick auf die Feststellung des Teilhabebedarfs, Koordinierung von Leistungen und Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger. (Bedarfsermittlung, Leistender Rehabilitationsträger, Teilhabeplanverfahren)
- vorgezogene Änderungen bezogen auf das Gesamtplanverfahren im SGB XII
- Reform des Vertragsrechts im neuen Eingliederungshilferecht in den §§ 124 bis 134 Teil 2 SGB IX
Änderungen im Bereich der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
- Inklusionsbetriebe (§ 132 Absatz 4 SGB IX a. F.; § 215 Absatz 4 SGB IX n. F.): Inklusionsbetriebe (vorher: Integrationsprojekte) beschäftigen mindestens 30 Prozent schwerbehinderte Menschen (vorher: 25 Prozent). Sie wenden sich nun an einen um psychisch erkrankte Menschen erweiterten Personenkreis.
- Inklusionsbeauftragte (§ 98 SGB IX a. F.; § 181 SGB IX n. F.): "Beauftragte des Arbeitgebers" heißen nun "Inklusionsbeauftragte des Arbeitgebers".
- Budget für Arbeit (§ 61 SGB IX): Das Budget für Arbeit ist als Regelleistung zur Teilhabe am Arbeitsleben eingeführt worden.
- Andere Leistungsanbieter (§ 60 SGB IX): Durch das Budget für Arbeit und die Zulassung Anderer Leistungsanbieter werden die Beschäftigungsangebote anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) ergänzt.
- Einführung SGB IX Teil 2 (neues Eingliederungshilferecht)
- Zweite Stufe bei der Einkommens- und Vermögensberücksichtigung
Änderung des leistungsberechtigten Personenkreises in der Eingliederungshilfe (Artikel 25a BTHG, § 99 SGB IX); bis dahin Erprobung in Modellvorhaben
Wie werden künftig die Leistungen für Menschen mit Behinderung rechtlich geregelt?
Neuntes Sozialgesetzbuch SGB IX, Teil 1:
Das neunte Sozialgesetzbuch Teil 1 ist das allgemeine Recht der Rehabilitation. Es schließt alle Rehabilitationsträger, beispielsweise die Krankenkassen, die gesetzliche Renten- und die Unfallversicherung ein. Rehabilitationsleistungen sind zum Beispiel die medizinische Rehabilitation im Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt oder Umschulungen zur beruflichen Wiedereingliederung. Die einheitliche Ausrichtung der Rehabilitationsleistungen soll dafür sorgen, dass behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen unabhängig von Zuständigkeitsfragen wirksame und bedarfsgerechte Rehabilitationsleistungen erhalten. Ziel ist es, die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe zu fördern und Benachteiligungen zu vermeiden beziehungsweise diesen entgegenzuwirken.
Neuntes Sozialgesetzbuch SGB IX, Teil 2:
Die Leistungen der Eingliederungshilfe sind im Teil 2 des SGB IX verortet. Dieser Teil 2 enthält einen besonderen Abschnitt über die Leistungen für Menschen mit erheblicher Behinderung. Wer als Mensch mit Behinderung Assistenzleistungen zur Bewältigung des Alltags oder im Arbeitsleben benötigt, muss künftig also deshalb nicht mehr Sozialhilfe beantragen. Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe zählen beispielsweise ambulante und stationäre Wohnangebote oder Werkstätten für behinderte Menschen.
Entscheidend für die Leistungen der Eingliederungshilfe ist die sogenannte wesentliche Behinderung. Nur wer wesentlich behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht ist, erhält Leistungen zur sozialen Teilhabe und zur Teilhabe am Arbeitsleben. Als wesentliche Behinderung gelten etwa Blindheit, Taubheit, sogenannte geistige Behinderungen oder schwere seelische Störungen wie Psychosen.
Da es um Sozialleistungen geht, die überwiegend aus Steuermitteln finanziert werden, ist mit der Umsetzung des Gesetzes jedoch auch die Erwartung verbunden, die Kosten für die Leistungen der Eingliederungshilfe zu kontrollieren und zu begrenzen. Dazu erhalten die Kostenträger stärkere Prüfungsrechte, ebenso ist eine Wirkungskontrolle eingeführt worden.
Evaluationsvorbehalt
Das Gesetzgebungsverfahren war von einer intensiven Beratung mit den Bundesländern, Leistungsträgern, Kommunalverbänden, Behindertenverbänden und Verbänden der Leistungserbringer begleitet. Verbände von Menschen mit Behinderungen befürchten, dass mit den im BTHG vorgesehenen Änderungen Leistungs-verschlechterungen eintreten, während die Leistungsträger eher Leistungsausweitungen und Mehrkosten befürchten. Der Gesetzgeber hat einen Evaluationsvorbehalt vorgesehen, zum Beispiel Modellvorhaben und Untersuchungspflichten zu den Auswirkungen der Reform der Eingliederungshilfe sowie Berichtspflichten gegenüber dem Bundestag und dem Bundesrat. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat folgende Untersuchungen und Projekte nach Maßgabe Artikel 25 Absatz 2 bis 4 BTHG initiiert:
- Begleitung der Umsetzung der Regelungen des Bundesteilhabegesetzes (Umsetzungsbegleitung BTHG) nach Artikel 25 Absatz 2 BTHG,
- Untersuchung der Ausführung sowie der absehbaren Wirkungen der neuen Regelungen der Eingliederungshilfe (Wirkungsprognose) nach Artikel 25 Absatz 2 BTHG,
- Modellhafte Erprobung der zum 1. Januar 2020 in Kraft tretenden Verfahren und Leistungen der Eingliederungshilfe nach Artikel 25 Absatz 3 BTHG,
- Untersuchung der jährlichen Einnahmen und Ausgaben bei den Leistungen der Eingliederungshilfe (Finanzuntersuchung) nach Artikel 25 Absatz 4 BTHG.
Für diese Maßnahmen sind im Bundeshaushalt für den Zeitraum von 2017 bis 2022 rund 48 Millionen Euro veranschlagt.
Hintergrund und Zahlen
Zum Jahresende 2017 lebten rund 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen in Deutschland. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren das rund 151 000 oder zwei Prozent mehr als am Jahresende 2015. 2017 waren somit 9,4 Prozent der gesamten Bevölkerung in Deutschland schwerbehindert. Als schwerbehindert gelten Personen, denen die Versorgungsämter einen Grad der Behinderung von mindestens 50 zuerkannt sowie einen gültigen Ausweis ausgehändigt haben.
Im Jahr 2017 erhielten in Deutschland knapp 911 000 Personen Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB XII). Das waren 1,8 Prozent mehr als im Vorjahr.
Die Diakonie bietet 4.088 Angebote in der Behindertenhilfe mit insgesamt 169.124 Plätzen (Quelle: Einrichtungsstatistik der Diakonie Deutschland 2016). Dazu zählen 1.636 Wohnheime und andere stationäre Angebote, 1.257 teilstationäre Angebote für Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung sowie 1.096 Beratungsstellen und ambulante Dienste. Darüber hinaus gibt es 51 Fachschulen der Behindertenhilfe und 48 Selbsthilfegruppen und Organisationen freiwilligen Engagements in der Diakonie.
Redaktion: Diakonie/Justine Schuchardt
Weitere Informationen zum Bundesteilhabegesetz
- Stellungnahme der Diakonie zum BTHG
- Projekte und Initiativen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum BTHG
- Informationen des Bundesverband evangelische Behindertenhilfe (BeB) zum BTHG
- Gemeinsame Positionierungen der Fachverbände für Menschen mit Behinderung
- Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zum BTHG PDF (84 kB)
- Stellungnahme der BAGFW zum Teilhabestärkungsgesetz vom 03.02.2021
- Stellungnahme der BAGFW zum Angehörigenentlastungsgesetz
Ansprechpartner

Dr. Peter Bartmann
Leitung Zentrum Gesundheit, Rehabilitation und Pflege
[email protected]