Ausreisepflicht, Duldung, Bleiberecht
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Für viele Flüchtlinge in Deutschland ist es schwierig, ein Bleiberecht zu erlangen. Warum ist das so? Was ist der Unterschied zur Duldung und was ist ein Abschiebestopp? Dies und mehr erklärt das Wissen Kompakt zu Ausreisepflicht, Duldung und Bleiberecht. Suchen Sie Hilfe, Rat oder Angebote? Wir sind vor Ort für Sie da.

Für viele Flüchtlinge in Deutschland ist es schwierig, ein Bleiberecht - und damit eine Perrspektive - zu erlangen.
Was ist eine Ausreisepflicht?
Menschen, die in Deutschland keinen Aufenthaltstitel haben – eine befristete Aufenthaltserlaubnis oder unbefristete Niederlassungserlaubnis – habe damit auch kein Aufenthaltsrecht. Das heißt, sie sind zur Ausreise verpflichtet (§ 50 Aufenthaltsgesetz) und müssen Deutschland baldmöglichst verlassen.
Ende 2019 waren im Ausländerzentralregister ca. 281.000 Menschen in Deutschland als ausreisepflichtig gespeichert.
Was ist eine Abschiebung?
Bei einer Abschiebung wird die Ausreisepflicht durch staatliche Behörden vollstreckt. Reisen ausreisepflichtige Menschen innerhalb einer gesetzten Ausreisefrist nicht aus oder wird ihnen keine Ausreisefrist gewährt, sind sie abzuschieben (§58 AufenthG). Dabei gibt es laut Gesetz keinen Ermessensspielraum.
Was sind Gründe dafür, dass Menschen trotz Ausreisepflicht nicht ausreisen?
Für viele Menschen kommt die Ausreisepflicht überraschend, zumeist wird ein erlaubter Aufenthalt nicht verlängert oder das Asylverfahren endet unverhofft mit einer Ablehnung. Dann müssen sie zunächst ihre weitere Lebensperspektive klären. Möglicherweise gibt es einen anderen Zweck, mit dem der Aufenthalt weiter erlaubt werden kann. Oder sie müssen für sich klären, ob sie zurückkehren oder in ein Land weiterwandern wollen. Dies braucht Zeit und macht die Zahl der ausreisepflichtigen Menschen, die in Deutschland leben, erklärbar.
Was ist ein Rückkehrmanagement?
Beim sogenannten Rückkehrmanagement geht es vor allem um die Verzahnung gesetzlicher und administrativer Maßnahmen zur Rückführung von Flüchtlingen ohne Bleiberecht um das angebliche „Vollzugsdefizit“ zu beheben. Zum Hintergrund: Bereits im Bericht „Vollzugsdefizite“ der sogenannten AG Rück der Innenministerkonferenz im Jahr 2011 wurde ein Vollzugsdefizit bei der Aufenthaltsbeendigung ausreisepflichtiger Menschen dargestellt. Insbesondere die Abschiebung abgelehnter Asylsuchender würde durch die Zivilgesellschaft immer wieder verhindert. Daraufhin wurde die Flüchtlingsaufnahme mit einem sogenannten Rückkehrmanagement verbunden. So wurde beispielsweise die Regelung eingeführt, dass Asylsuchende während ihres Asylverfahrens in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes verbleiben – statt in die Kommunen verteilt zu werden – und diese auch im Falle der Ablehnung des Asylantrages vor Beendigung ihres Aufenthalts nicht mehr verlassen dürfen. So werden abgelehnte Asylsuchende nicht mehr in die Kommunen verteilt und können sich dort nicht integrieren, was Abschiebungen behindert würde. Das Ziel: mehr Abschiebungen direkt aus den Aufnahmezentren durchzuführen. Bekannt wurden in diesem Zusammenhang auch der Begriff Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückkehrzentrum (AnkER-Zentrum) als Name für Erstaufnahmeeinrichtungen.
Weitere gesetzliche Maßnahmen sind: Um Abschiebungen zu erleichtern, dürfen Abschiebetermine nicht mehr angekündigt werden, die Kriterien für medizinische Gutachten zum Schutz vor Abschiebungen wurden verschärft sowie die Sanktionen im Asylbewerberleistungsgesetz und die Möglichkeiten der Abschiebehaft sukzessive ausgeweitet.
Gibt es tatsächlich ein Vollzugsdefizit?
Ob das angenommene Vollzugsdefizit, das Ursache vieler gesetzlicher und administrativer Maßnahmen ist, überhaupt existiert, lässt sich relativ schwer belegen. So waren Ende 2020 im Ausländerzentralregister (AZR) ca. 281.000 Menschen in Deutschland als ausreisepflichtig gespeichert. Die Daten des AZR sind allerdings nicht sehr valide. Beispielsweise befanden sich etwa 33.000 Menschen, die als ausreisepflichtig gespeichert waren, im laufenden Asylverfahren, obwohl der Aufenthalt während des Asylverfahrens gestattet ist und deshalb keine Ausreisepflicht besteht.
Die Zahl der Menschen, die als ausreisepflichtig gespeichert sind, ist seit ca. zwei Jahrzehnten relativ konstant. Im Jahr 2000 lag sie bei ca. 260.000 Menschen. Dies entspricht gerade 2,5 Prozent aller Menschen, die potentiell ausreisepflichtig werden können, da sie nicht die deutsche Staatbürgerschaft besitzen. Sie nahm bis zum Jahr 2010 mit dem Gesamtzuwanderungssaldo korrelierend ab und dann wieder zu. Nach der notwendigen Zeit, um die weitere Lebensperspektive zu klären, reisen die meisten Ausreisepflichtigen offenbar tatsächlich aus.
So scheint es sich nicht um eine konstante Gruppe von Ausreisepflichtigen zu handeln, sondern innerhalb der Gruppe eine große Fluktuation zu bestehen. Drei Viertel der ausreisepflichtigen Menschen leben weniger als vier Jahre in Deutschland, inklusive des vorangegangenen erlaubten Aufenthaltes mit Visum, Aufenthaltserlaubnis oder -gestattung. Nur etwas mehr als die Hälfte der Ausreisepflichtigen hat je einen Asylantrag gestellt und sind abgelehnte Asylsuchende. Die anderen sind zum Beispiel Menschen, die ihr Visum überzogen haben, deren Aufenthaltserlaubnis erloschen ist oder denen als Unionsbürger das Freizügigkeitsrecht aberkannt wurde.
Die Zahl der Ausreisepflichtigen steigt weit weniger stark als Menschen neu ausreisepflichtig werden, weil zum Beispiel das Visum abgelaufen ist, der Asylantrag abgelehnt oder die Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert wurde. Zudem gibt es keine statistische Erfassung aller Ausreisen, da sich Ausreisende nicht behördlich abmelden (müssen). Die Speicherung „Fortzug nach unbekannt“, wodurch diese Menschen aus der Statistik der ausreisepflichtigen Personen fallen, erfolgt nur, wenn den Ausländerbehörden die Aufenthaltsbeendigung bekannt wird.
Was ist eine Duldung?
Eine Duldung ist die „Aussetzung der Abschiebung“. Ist die Abschiebung von ausreisepflichtigen Menschen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich, wird die Abschiebung ausgesetzt (§60a Abs. 2 AufenthG) – die Menschen erhalten eine Duldung in Deutschland. Damit sind sie aber weiterhin prinzipiell ausreisepflichtig und besitzen keinen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus in Deutschland. Lediglich die Strafbarkeit wegen illegalen Aufenthalts entfällt (§95 Abs. 1 Nr. 2c). Eine Duldung gilt teilweise nur wenige Tage bis maximal sechs Monate, in einigen Fällen auch länger, zum Beispiel bei der sogenannten Ausbildungsduldung für die Zeit der Ausbildung. Diese neue Form der Duldung steht konträr zum Anliegen, die Zahl der Ausreisepflichtigen zu verringern und markiert einen politisch gewollten Schwebezustand, in dem Menschen der Verbleib in Deutschland ermöglicht wird, sie aber ausreisepflichtig und ohne Aufenthaltsrecht bleiben. Die Duldung kann jederzeit fristlos widerrufen werden. Geduldete Menschen können also grundsätzlich jeden Tag abgeschoben werden.
Welche Duldungsgründe gibt es?
Für eine Duldung gibt es verschiedene Gründe, zum Beispiel fehlende Reisedokumente, die eine Reise unmöglich machen, oder einen Abschiebestopp in das Herkunftsland. Eine Duldung erhalten auch Menschen, von denen nicht erwartet werden kann, dass sie ausreisen, wie zum Beispiel Eltern aufenthaltsberechtigter minderjähriger Kinder, unbegleitete Minderjährige oder Menschen, die zum Zwecke der Ausbildung oder Beschäftigung geduldet sind. Auch gesundheitliche oder persönliche Härtefallgründe können gegen eine Abschiebung sprechen.
Jede Duldung wird in der Statistik einem Duldungsgrund zugeordnet. In der Praxis gibt es jedoch oft mehrere Gründe, warum jemand nicht abgeschoben werden kann, und die statistische Zuordnung ist oft nicht erklärlich. So befinden sich zum Beispiel in der Kategorie „Duldung aufgrund eines Abschiebestopps“ laut Antwort der Bundesregierung mindestens 15 Länder, in die Menschen aufgrund eines Abschiebestopps nicht abgeschoben werden. Derzeit gibt es bundesweit jedoch für kein Land einen Abschiebestopp.
Ein Drittel aller Geduldeten befindet sich in der Kategorie „Duldung aus sonstigen Gründen“. Diese ungenaue Einordnung spiegelt die Aussagekraft des AZR wider. Entgegen der öffentlichen Darstellung, wie beispielsweise durch Bundesinnenminister de Maiziere, sind mit ca. 3.000 von 236.000 Menschen nur sehr wenige Personen aus gesundheitlichen Gründen geduldet.
Ausreisepflichtige ohne Duldung
Von den ca. 281.000 statistisch als ausreisepflichtig erfassten Menschen haben ca. 236.000 eine Duldung. Den restlichen etwa 45.000 Menschen wurde kein entsprechendes Dokument ausgestellt, obwohl ihre Abschiebung ausgesetzt ist, sondern zum Beispiel eine Grenzübertrittsbescheinigung.
Die Unterscheidung zwischen ausreisepflichtigen und geduldeten Menschen ist allerdings irreführend. Tatsächlich sind nahezu alle Geduldeten vollziehbar ausreisepflichtig und alle Ausreisepflichtigen müssten eine Duldung erhalten, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen de facto nicht abgeschoben werden. Im politischen Diskurs wird verstärkt von den „Ausreisepflichtigen“ statt den „Geduldeten“ gesprochen, obwohl im Prinzip dieselbe Gruppe gemeint ist. Inwiefern Ausreisepflichtige ohne Duldung bereits ausgereist sind, lässt sich statistisch nicht klären.
Integrationsmöglichkeiten mit Duldung
Geduldete unterliegen aufgrund ihres nicht rechtmäßigen Aufenthaltsstatus erheblichen Restriktionen beim Zugang zu Integrationsmöglichkeiten. Menschen, die eine „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ (gemäß § 60b AufenthG) besitzen oder aus einem sog. „sicheren Herkunftsland“ kommen, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden. In anderen Fällen steht sie im Ermessen der Ausländerbehörden. Geduldete haben auch keinen Zugang zu einem Integrationskurs. So haben sie keine Möglichkeit, die deutsche Sprache zu erlernen. Dies ist jedoch eine Grundvoraussetzung, um sich integrieren zu können. So ist erklärbar, warum nur jährlich eine geringe Zahl von Geduldeten ein Bleiberecht erhält, für die eine „nachhaltige Integration“ – wie die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts oder die Kenntnis der deutschen Sprache – Voraussetzung ist.
Schutzbedürftige, ausreisepflichtige Personen: Was ist der Unterschied zwischen Abschiebeverbot und Abschiebestopp?
Für schutzbedürftige, ausreisepflichtige Menschen gibt es besondere Regelungen. Droht einem Asylsuchenden eine „erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit“, gilt ein Abschiebeverbot (§ 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG) und eine Aufenthaltserlaubnis wird erteilt. Im Asylverfahren werden jedoch nur Gefahren berücksichtigt, die auf ein konkretes Individuum zielen. Handelt es sich um eine Allgemeingefahr für eine Personengruppe, kann ein Schutz (nur) im Rahmen eines Abschiebestopps gewährt werden. Dabei ist unerheblich, ob die Gefahr ebenso existenzbedrohend ist. Ob einer Gruppe aufgrund einer Allgemeingefahr ein Abschiebstopp gewährt wird, steht jedoch im politischen Ermessen. Es wird auch dann lediglich eine Duldung erteilt, die Ausreisepflicht bleibt bestehen. Ein Abschiebestopp darf nur zweimal für drei Monate seitens eines Bundeslandes gewährt werden, anschließend ist das Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium notwendig. Dann kann eine Aufenthaltserlaubnis statt einer Duldung erteilt werden (nach § 23 Abs. 1 AufenthG). De facto wurde bisher nie ein Abschiebestopp in eine Anordnung nach dieser Regelung überführt. Auch im Fall des Abschiebestopps bis Ende 2020 für Syrien sind die Personen seit 2012 nur geduldet.
In der Praxis funktioniert diese Regelung de facto nicht: Plausibel wäre, dass viel mehr Menschen aufgrund einer Allgemeingefahr schutzbedürftig sind als aufgrund einer individuellen Gefahr, da eine allgemeine Gefahr viel mehr Menschen betreffen müsste als gezielte individuelle Verfolgung. Tatsächlich stellt sich die Schutzgewährung in der Praxis andersherum dar. Es gibt unvergleichbar mehr Anerkennungen aufgrund individueller Gefahr, nur in Ausnahmefällen Duldungen aufgrund einer Allgemeingefahr.
Was ist ein Bleiberecht?
Ein Bleiberecht können geduldete Menschen erhalten, wenn sie sich trotz Ausreisefrist und den damit verbundenen Restriktionen bei der Integration dennoch nachhaltig integriert haben. Unter bestimmten Bedingungen erhalten so beispielsweise wirtschaftlich gut integrierte, geduldete Menschen aufgrund ihrer Ausbildung oder ihres Studiums, gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende im Alter bis zu 21 Jahren aber auch Familien für eine bestimmte Zeit eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland (§ 19d, 25a und 25b AufenthG). Darüber hinaus können Innenminister der Länder aufgrund einer Empfehlung der sogenannten Härtefallkommissionen im Einzelfall ein Bleiberecht gewähren (§ 23a AufenthG).
Das Bleiberecht verlagert sich zunehmend in den unsicheren Status der Duldung. So wurden die Ausbildungsduldung und die Beschäftigungsduldung geschaffen. Während dieser Duldungen werden Menschen nicht abgeschoben, sie haben aber gleichfalls kein Aufenthaltsrecht und bleiben ausreisepflichtig.
Historie des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung
2005
Mit dem Zuwanderungsgesetz wird eine Regelung eingeführt, um die Duldung abzuschaffen (§ 25 Abs. 5 AufenthaltsG). Jedoch wird die ursprüngliche Regelung, dass eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, wenn die Ausreise unmöglich ist, im Gesetzgebungsverfahren so geändert, dass die Abschiebung unmöglich sein soll. Die erwünschte Wirkung bleibt daher aus, da weiterhin Menschen nicht abgeschoben werden können, die aber ausreisen könnten.
2006/2007
Die Innenministerkonferenz beschließt eine Altfallregelung für langjährig geduldete Personen und die SPD verhandelt eine analoge gesetzliche Regelung (§ 104a und b Aufenthaltsgesetz) im Zuge eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien. Gleichzeitig wird der aufenthaltsrechtliche Status der Duldung wiedereingeführt.
2009
Aufgrund der eng definierten Grenzen und restriktiven Ausschlussgründe müssen die Altfall-Regelungen mehrfach gelockert werden, um Wirkung zu entfalten. Viele Geduldete können ihren Lebensunterhalt vor allem aufgrund ihres gesetzlichen Ausschlusses vom Arbeitsmarkt nicht eigenständig sichern.
2011
Aufgrund immer wieder auftretender Fälle von Jugendlichen, die teilweise in Deutschland geboren und zumindest aufgewachsen und gut integriert sind, verabschieden erst die Innenministerkonferenz und dann der Bundesrat und Bundestag im Jahr 2011 eine Bleiberechtsregelung für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende im Alter zwischen 15 und 20 Jahren. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge fallen hier aufgrund der Kriterien systematisch raus.
2010 – 2013
Da das Problem der Kettenduldungen nach wie vor nicht gelöst ist, entwickelt sich eine politische Diskussion um eine neue Bleiberechtsregelung. Um nicht immer neue Altfallregelungen beschließen zu müssen, soll diese nun keinen Stichtag mehr enthalten, sondern nur eine Mindestaufenthaltsdauer. In den Jahren 2010/2011 werden dazu drei Gesetzentwürfe in den Bundesrat eingebracht. Hamburg bringt das Ergebnis der länderoffenen Arbeitsgemeinschaft der Integrations-ministerkonferenz ein. Dieser Gesetzentwurf wird am 22. März 2013 vom Bundesrat mit rot-grüner Mehrheit und Zustimmung des CDU-geführten Bundeslandes Sachsen-Anhalt beschlossen. Darin wird auch die Bleiberechtsregelung für Jugendliche und Heranwachsende vereinfacht, um ihre Wirkung zu erhöhen.
2015
Der Bundestag beschließt mit Zustimmung des Bundesrates das „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“. Die vom Bundesrat in 2013 beschlossene Bleiberechtsregelung wird mit geringfügigen Änderungen in § 25b AufenthG übernommen. Langjährig geduldete Menschen können ein Aufenthaltsrecht erhalten, wenn sie entsprechende Integrationsleistungen erbracht haben. Neu ist: Selbst, wenn nicht alle Mindestkriterien erfüllt sind, kann nun ein Bleiberecht gewährt werden, wenn die Ausländer-behörde im Rahmen einer Gesamtschau eine „nachhaltige Integration“ feststellt. Auch können Menschen, die aus gesundheitlichen oder Altersgründen ihren Lebensunterhalt nicht selbst sichern oder die deutsche Sprache lernen können, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.
Das Gesetz enthält neben der Bleiberechtsregelung gleichzeitig Regelungen, um den Aufenthalt geduldeter Personen schneller beenden zu können. So werden beispielsweise die Kriterien für ein Einreise- und Aufenthaltsverbot ausgeweitet. Dies kann die Ausländerbehörde verhängen, wenn zum Beispiel die Ausreisefrist abgelaufen ist. Weitere Rechtsänderungen betreffen die Mitwirkungspflichten bei der Identitätsklärung und die Ausweitung der Definition von „Fluchtgefahr“ als Voraussetzung für Abschiebehaft. Zudem wird neben der Abschiebehaft auch die Möglichkeit eines Abschiebegewahrsams eingeführt, der den Ausländerbehörden den Freiheitsentzug ausreisepflichtiger Personen vereinfacht.
10/2015
Das „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ (sog. Asyl-paket I) enthält insbesondere eine Ausweitung der Wohnpflicht in Erstaufnahmeeinrichtungen (bis zu 6 Monate). Zudem dürfen Abschiebungen nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise nicht mehr angekündigt werden, teilweise werden Barleistungen als Sanktion bei der unzureichenden Mitwirkung bei dem Beseitigen von Abschiebehindernissen gestrichen (§1a AsylbLG).
02/2016
Datenaustauschverbesserungsgesetz, Erleichterung und Standardisierung der Datenübermittlung von Behörden (wie Jugendamt, Öffentlicher Gesundheitsdienst, Jobcenter, Leistungsstellen AsylBLG)
03/2016
„Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren“ (sog. Asylpaket II), Kürzere Verfahren (§ 30a AsylG), Residenzpflicht (§ 33 AsylG), Aussetzung der Abschiebung nur bei schwerer oder lebensbedrohlicher Erkrankung (§ 60 Abs. 7 AufenthG), Neue Vermutungsregeln bei Abschiebungen (§ 60a Abs. 2c und 2d AufenthG, Senkung von Asylbewerberleistungen, Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten
04/2016
„Gesetz zur Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten“, widerlegbare Vermutung der Nichtverfolgung, Sanktionen im Leistungsrecht und Beschäftigungsverbot
08/2016
„Integrationsgesetz“, Einführung der sog. Ausbildungsduldung, Möglichkeit der Duldung während der Zeit einer Ausbildung
10/2016
Kanzlerin Merkel ruft zu einer „nationalen Kraftanstrengung“ bei der Rückführung von Flüchtlingen ohne Bleiberecht auf.
02/2017
„Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“, Erweiterung Abschiebehaft, Verlängerung Ausreisegewahrsam von 4 auf 10 Tage, Erweiterung R, Einführung Auslesung von Handydaten, Länderermächtigung zur Wohnpflicht bis zu 24 Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen, Residenzpflicht bei Täuschung oder fehlender Mitwirkung, Abschaffung der einmonatigen Widerrufsfrist nach über einjähriger Duldung bei fehlender Mitwirkung bei der Beseitigung von Abschiebhindernissen
07/2018
Vorstellung des Masterplans Migration durch BMI, Einführung von AnkER-Zentren (AnkER = Ankunft, Entscheidung, Rückführung), Sanktionen bei unzureichender Mitwirkung der Identitätsklärung, Reduzierung der sog. Sekundärmigration von Asylsuchenden innerhalb Europas
06/2019
Migrationspaket mit
- „Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (Geordnete-Rückkehr-Gesetz)“ und im Rahmen des sog. Migrationspaketes, Wohnpflicht in Erstaufnahme generell max. 18 Monate, in Falle von Familien bis zu 6 Monate, Einführung Passbeschaffungspflicht „Duldung bei ungeklärter Identität“ mit Beschäftigungsverbot, Verschärfung Ausweisungsrecht, Streichung von Sozialleitungen für Personen mit Schutzstatus in anderem EU-Mitgliedsstaat
- „Gesetz über die Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung“, gesetzliche Festlegung von Kriterien, wann eine entsprechende Duldung erteilt werden darf
- „Zweites Datenaustauschverbesserungsgesetz“, Erleichterung Datenübermittlung, Einführung einer AZR-Nummer (AZR = Ausländerzentralregister) für Ankunftsnachweis, Aufenthaltsgestattung, Duldung und Fiktionsbescheinigung, Absenkung des Mindestalters für Fingerabdrücke von 14 auf 6 Jahre, Erkennungsdienstliche Behandlung von unbegleiteten Minderjährigen auch ohne Asylgesuch, Erhebung von Daten zur geförderten („freiwilligen“) Rückkehr
Hintergrund und Zahlen
Seit 2006 haben geschätzt über 80.000 Menschen durch verschiedene Bleiberechtsregelungen befristete Aufenthaltsrechte erhalten, insbesondere aufgrund der Altfallregelungen 2006 und 2007. Unbekannt ist, wie viele Menschen ihr Bleiberecht wieder verloren haben, weil sie die Anforderungen wie die eigenständige Lebensunterhaltssicherung nicht (mehr) erfüllen konnten. Andere werden eine unbefristete Niederlassungserlaubnis bekommen haben. Dadurch ist ihre genaue Zahl nicht feststellbar.
Ende 2020 hatten 8.932 Menschen einen Aufenthaltstitel nach § 23a AufenthG, 11.065 Menschen nach §25a und 6.658 nach §25b AufenthG. Etwa 54.347 Personen hatten eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5, da ihnen die Ausreise nicht möglich war. Auch hier ist es möglich, dass einige das Aufenthaltsrecht wieder verloren haben oder inzwischen eine Niederlassungserlaubnis bekommen haben.
Eine Umfrage der Diakonie bei ihren Beratungsstellen hat ergeben, dass die neuen Bleiberechts-Regelungen bisher nur sehr restriktiv umgesetzt werden. Dadurch erhalten bei weitem nicht alle Menschen, denen nach den neuen Regelungen ein Bleiberecht zusteht, dieses auch tatsächlich. Die Ausländerbehörden legen die Hürden durch vorzulegende Dokumente teilweise so hoch, dass der Zweck der Regelung konterkariert wird. So wurde von einem durch Unfall erwerbsunfähigen Menschen verlangt, die positive Prognose zur Lebensunterhaltssicherung dadurch zu belegen, dass dieser einen Arbeitsvertrag vorlegt für den Fall, dass er wieder gesund wird.
Ende 2020 waren im Ausländerzentralregister ca. 281.000 Menschen in Deutschland als ausreisepflichtig gespeichert. Die Zahl ist seit ca. zwei Jahrzehnten relativ konstant. Im Jahr 2000 waren ca. 260.000 Menschen als ausreisepflichtig registriert.
Bewertung der Diakonie Deutschland
Die öffentliche Diskussion um die Aufenthaltsbeendigung ausreisepflichtiger Menschen ist vielfach irreführend. Sie vermittelt das Bild, dass die Menschen nicht ausreisen (wollen) und es dafür keine entgegenstehenden, triftigen Gründe gibt. Dies trifft jedoch meist nicht zu. Vielfach gibt es Gründe, die einen Verbleib in Deutschland rechtfertigen würden. Im Rahmen der sogenannten Ermessensduldung erkennen die Ausländerbehörden diese Gründe zum Verbleib auch explizit an, teilweise gibt es gesetzliche Regelungen, zum Beispiel durch die Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldung. Die Aufenthaltsentscheide gehen jedoch häufig an den Lebenswirklichkeiten vorbei. Die Konsequenzen und die große Last tragen dann die ausreisepflichtigen Menschen.
Tatsächlich entwickelt sich die Duldung zunehmend zu einem Semi-Aufenthaltstitel mit analogen Aufenthaltszwecken (humanitär, Erwerbstätigkeit), zu einer unsicheren Grauzone, die es Menschen zwar ermöglicht zu bleiben, allerdings ohne ein Aufenthaltsrecht zu bekommen. Damit bleiben sie weiterhin ausreisepflichtig.
Nach Ansicht der Diakonie sollte der Kerngedanke sein: Eine Ausreisepflicht kann nicht nur durch Aufenthaltsbeendigung, sondern auch durch ein Aufenthaltsrecht beendet werden. Die Diakonie setzt sich dafür ein, dass Menschen, die eine gute Bleibeperspektive haben oder für die rechtliche Abschiebehindernisse bestehen, wie bei unbegleiteten Minderjährigen, eine Aufenthaltsrecht bekommen. Insbesondere schutzbedürftige Menschen, denen eine „erhebliche, konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht“ als Allgemeingefahr droht, brauchen eine aufenthaltsrechtliche Lösung.
Trotz umfangreicher gesetzlicher und administrativer Maßnahmen bleibt die Zahl der ausreisepflichtigen Menschen über einen langen Zeitraum relativ konstant. Offenbar reisen die meisten Ausreisepflichtigen aus, da sonst ihre Zahl auch statistisch wesentlich größer sein müsste. Die zugrundeliegende Annahme, es bestehe ein Vollzugsdefizit bei der Aufenthaltsbeendigung, sollte nach Ansicht der Diakonie überdacht und überprüft werden. Dazu sollte zunächst die Datengrundlage verbessert werden, bevor weitere, für die betroffenen Menschen sehr einschneidende Maßnahmen, getroffen werden – zumal diese öffentliche Diskussion auch Auswirkungen haben kann auf das gesellschaftliche Klima und die Haltung gegenüber Flüchtlingen. Die Annahme, die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung für Flüchtlinge hinge mit der Aufenthaltsbeendigung ausreisepflichtiger Personen zusammen, ist ebenso wenig belegt.
Text: Diakonie/Dr. Sebastian Ludwig und Madeleine Correarrd
Redaktion: Diakonie/Sarah Spitzer
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Ansprechpartnerin und Ansprechpartner

Madeleine Correard
Sachbearbeiterin Zentrum Migration und Soziales
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