Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht

15. April 2019
  • Stellungnahme
  • Infoportal
  • Flucht und Migration

Die Diakonie Deutschland nimmt zu dem Gesetzesentwurf (Geordnete-Rückkehr-Gesetz) Stellung und plädiert für eine Auswertung der bereits bestehenden Gesetze. Auf Grundlage einer Evaluation kann sich eine Notwendigkeit neuer Gesetze ergeben, die in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren mit angemessener Beteiligung der Zivilgesellschaft auf den Weg gebracht werden müssen.

Der vorliegende Gesetzesentwurf beinhaltet zahlreiche Verschärfungen für Menschen, die als Schutzsuchende nach Deutschland gekommen sind. Die Diakonie Deutschland bedauert diese Vorhaben, zumal sie nicht nachvollziehbar sind. Das Ziel des Gesetzes - sicherzustellen, dass ausreisepflichtige Personen auch tatsächlich ausreisen -, wird mit unvollständigen Daten begründet: Das Bundesinnenministerium nennt eine Zahl von 235.957 vollziehbar ausreisepflichtigen Personen, um die Notwendigkeit von erleichterten Abschiebungen zu rechtfertigen. Diejenigen, deren Abschiebung aufgrund einer Duldung aus gesetzlich vorgesehenen Gründen vorübergehend ausgesetzt ist, werden nicht berücksichtigt. Dabei waren laut Ausländerzentralregister 2018 180.124 Menschen geduldet und daher aus legitimen Gründen in Deutschland. Darunter befinden sich Flüchtlinge aus Afghanistan, unbegleitete Minderjährige, Personen, die aufgrund eines Abschiebestopps nicht abgeschoben werden, Eltern aufenthaltsberechtigter Minderjähriger sowie für den Zeitraum der Ausbildung geduldete junge Menschen. Dass nur 17.979 Ausreisepflichtige ohne Duldung Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, lässt vermuten, dass ein Teil der verbleibenden ausreisepflichtigen Personen ohne Duldung bereits ausgereist ist.

Es ist außerdem darauf hinzuweisen, dass nur 131.995 Personen der 235.957 als ausreisepflichtig gespeicherten Personen überhaupt einen Asylantrag gestellt haben. Es handelt sich bei den Ausreisepflichtigen daher nur zu etwas mehr als der Hälfte (ca. 56%) um abgelehnte Schutzsuchende. Die anderen sind Personen, die beispielsweise ihr Arbeits-, Studenten- oder Touristenvisum überzogen haben. Angesichts von 2 Mio. Asylentscheidungen im Zeitraum 2014 bis 2018 leben noch ca. 108.000 abgelehnte Asylsuchende in Deutschland, die ausreisepflichtig sind. Dies entspricht einer Quote von 6%. Von einer mangelnden Durchsetzung der Ausreisepflicht gegenüber abgelehnten Asylsuchenden kann also keine Rede sein.

Die Diakonie Deutschland kritisiert insbesondere folgende Änderungen, die das Geordnete-Rückkehr-Gesetz vorsieht:

  • Ein Status der Duldung für "Personen mit ungeklärter Identität" soll eingeführt werden, der aufgrund von erhöhten Pflichten zur Passbeschaffung und einem Arbeitsverbot bei einer Vielzahl von Menschen zu einer Verhinderung ihrer Integration führen wird
  • Haft zum Zwecke der Abschiebung soll erleichtert und ausgeweitet werden. Der Ausreisegewahrsam wird neu geregelt, eine neue Mitwirkungshaft eingeführt und die Definition der Fluchtgefahr erweitert. Damit sollen Inhaftierungen möglich werden, wenn die Passbeschaffungspflicht nicht erfüllt oder eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reiseunfähigkeit versäumt wird. Bei "mangelnder Kooperationsbereitschaft" soll die Abschiebungshaft um zwölf Monate verlängert werden können. Um diese Kooperationsbereitschaft zu erhöhen, soll mittels der neuen "Mitwirkungshaft" Druck auf die Betroffenen ausgeübt werden. Mit der Begründung einer Notstandssituation wird das europarechtlich vorgeschriebene Gebot, Abschiebungshäftlinge nicht in Strafgefängnissen unterzubringen, umgangen;
  • Ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, das zu einer Erleichterung der Ausweisung führt, soll bereits bei Verurteilungen zu Freiheitsstrafen von sechs Monaten gelten. Aktuell besteht dieses erst bei Verurteilungen zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und mehr. Begründet wird dies damit, dass für eine Verurteilung von sechs Monaten oder mehr eine "gewisse Schwere der Tat" vorliegt. Unbeachtet bleibt, dass laut § 54 Abs. 2 AufenthG-E mehrere Verurteilungen summiert werden können. Das schwerwiegende Ausweisungsinteresse könnte demnach auch schon bei mehrmaliger Verurteilung wegen Schwarzfahrens zu jeweils drei Monaten eintreten. Daher ist die Verkürzung abzulehnen;
  • Bei der Nicht-Erfüllung der Passbeschaffungspflichten sollen den Betroffenen Bußgelder bis zu 5000€ auferlegt werden können;
  • Mitarbeitenden von Behörden sollen in Zukunft bis zu fünf Jahren Haft drohen, wenn sie Abschiebetermine oder Vorführungen zur Identitätsfeststellung durch die Botschaft des Herkunftsstaats weitergeben. Die Beihilfe zu diesem "Geheimnisverrat" könnte danach ebenfalls strafbar werden, wenn diese Informationen durch nicht-öffentliche Stellen weitergegeben werden;
  • Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) führen eine vollständige Leistungskürzung für Personen ein, die vollziehbar ausreisepflichtig ohne Duldung sind und einen Aufenthaltsstatus in einem anderen EU-Staat haben. Außerdem wird der Anwendungsbereich für Leistungen, die zur Deckung des Bedarfs an Ernährung und Unterkunft gewährt und als Sachleistungen erbracht werden, auf Asylbewerber ausgeweitet, die zahlreiche Mitwirkungspflichten nicht erfüllen (sogenannte "1a-Leistungen").

In der Stellungnahme wird auf einzelne Regelungen ausführlicher eingegangen.