"Das Abitur wird zu viel gewertet"

15. Oktober 2020
  • Kampagne UNERHÖRT!
  • FSJ und Freiwilligendienste

Aleyna hat ihr Abitur mit einem Notendurchschnitt von 1,5 gemacht und kommt gerade frisch aus dem Freiwilligen Sozialen Jahr. In ihrer Freizeit dreht sich alles um ihren Traum: Medizin zu studieren. Doch trotz Ärztemangels bekommt sie keinen Studienplatz. Sie würde sich wünschen mit ihren Ideen zu einem faireren Vergabesystem gehört zu werden, in dem die Persönlichkeit im Vordergrund steht. Hören Sie ihre Geschichte.

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Diese Geschichte ist Teil der Kampagne UNERHÖRT! Nicht alles, was erzählt wird, entspricht unserem Menschenbild oder den Positionen der Diakonie. Darüber müssen wir reden. Zuhören bedeutet nicht automatisch Zustimmung.

Mit "UNERHÖRT!" wirbt die Diakonie Deutschland für eine offene Gesellschaft: Viele Menschen haben heute das Gefühl, nicht gehört zu werden. Sie fühlen sich an den Rand gedrängt in einer immer unübersichtlicheren Welt, in der das Tempo steigt und Gerechtigkeit auf der Strecke zu bleiben droht.

Jede Lebensgeschichte hat ein Recht darauf, gehört zu werden – auch wenn sie Widerspruch herausfordert. Es lohnt sich zum Beispiel, sehr genau hinzuhören, warum sich Menschen von der offenen Gesellschaft distanzieren. Auch sie sind Teil unserer freien und offenen Gesellschaft und können sie mitgestalten, für sie eintreten. Wir sind überzeugt: Zuhören und Streiten hilft hier weiter, und weder Zuhören noch Streiten ist einfach.

Die Kampagne will wachrütteln und zugleich aufzeigen, dass die Diakonie zuhört, Lösungen bereithält und eintritt für eine offene und vielfältige Gesellschaft. Die Diakonie will diese Diskussion anstoßen und führen als Plattform für einen Diskurs rund um soziale Teilhabe.

Aleynas Geschichte zum Nachlesen

Als ich mein Ergebnis von meinem Eignungstest bekommen habe, hab ich erstmal geweint, weil ich wusste, das wird nicht ausreichen dieses Semester. Ich bin Aleyna, ich bin 19 Jahre alt. Ich hab jetzt mein Abi mit 1,5 gemacht und würde gerne Medizin studieren. Mich fasziniert einfach die Anatomie von dem Körper, die Funktion, wie man den Menschen auch retten kann mit kleinen Eingriffen.

Mich ärgert es sehr, dass es einen Ärztemangel in Deutschland gibt, dass die Patientenversorgung auch nicht sichergestellt ist durch die Ärzte, dass die Ärzte keine Zeit haben und dass es einfach viel zu viele Studienbewerber gibt und dadurch Menschen, wie ich, die es halt wirklich wollen, keinen Platz bekommen. Ich kenne es auch aus meinem Freundeskreis, dass sich alle Leute mit einem 1,0er-Abi erstmal für Medizin bewerben. Medizin an sich ist ja keine schlechte Sache, man kann damit ja auch gut Geld verdienen, man lernt was, es ist ein bodenständiger Job – das kann ich auch alles gut nachvollziehen, aber diese Leute brechen dann auch nach ein paar Semestern das Medizinstudium ab, weil sie merken, das ist doch nicht mein Fachgebiet.

Mich nervt das auch, dass ich halt in meinem FSJ gesehen habe, dass die Ärzte viel zu gestresst sind und dadurch auch private Probleme haben und es ja eigentlich genug Leute gibt, die diesen Beruf ausüben wollen, aber keinen Platz bekommen, weil sie vielleicht nicht das beste Abitur gemacht haben. Und was mich am meisten stört, ist, dass die Bewerbungsplattform, also Hochschulstadt, worüber man sich bewirbt, mich als Person gar nicht kennt. Also, sie kennen meinen Abidurchschnitt, sie wissen, dass ich ein FSJ gemacht habe und mehr wissen sie nicht von mir. Sie kennen meine Persönlichkeit überhaupt gar nicht und ich denk halt, dass es in sozialen Berufen eigentlich das Wichtigste ist, dass man die Person kennenlernt.

Eine gute Ärztin zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich Zeit für den Patienten nimmt, dass sie ihn auch aufklärt und für Fragen immer da ist und dass sie natürlich auch den richtigen Behandlungsweg findet und den halt auch mit dem Patienten abstimmt.

Meine größte Sorge ist, dass ich keinen Platz bekomme. Es ist eine riesige Enttäuschung, immer alles zu geben und wirklich auch Zeit aufzuopfern. In meinem FSJ habe ich ja wirklich Vollzeit gearbeitet, nebenbei noch gelernt.

Ich finde, das Vergabesystem hat sich in den Jahren schon deutlich gebessert. Am besten wäre es für mich, wenn man die Person wirklich kennenlernt und dann psychologische Gespräche führt oder die Motivation dahinter irgendwie herauskitzelt aus der Person. Ich merke auch, als ich bei meinem FSJ im OP stand und einfach nur ganz kleine Eingriffe gesehen habe, war ich total begeistert und als es dann ein großer Eingriff war, habe ich noch drei Tage danach davon erzählt. Ich kann das gar nicht so gut beschreiben, es ist irgendwie … es ist total mein Thema, also ich blühe da richtig auf und ich lese auch total viel in meiner Freizeit darüber.

Ich denke mir, wenn ich so lange schon an diesem Medizinstudium festhalte und wirklich vieles dafür getan habe, diesen Platz zu bekommen und keinen bekomme, das wäre ganz schrecklich für mich, weil dann mein Traum sozusagen platzt. Ich würde gern in die Chirurgie gehen und gerne auch in Richtung Kinderchirurgie oder Unfallchirurgie. Aber dadurch dass ich keinen Platz bekommen habe, hab ich jetzt eine Ausbildung zur Krankenschwester angefangen.

Text und Audio: Diakonie/Cathleen Heine