„Wir rechnen für den Herbst mit einem Run auf die Schuldnerberatung, dem wir hoffentlich gewachsen sein werden.“

2. September 2020
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Die Corona-Krise bringt viele Menschen in finanzielle Schwierigkeiten, bis hin zur Überschuldung. Für den Herbst wird mit einem großen Bedarf an Schuldnerberatungen gerechnet. Und ein Ende der Pandemie ist nicht in Sicht. Erst dann aber werden sich die Folgen im ganzen Ausmaß zeigen, befürchtet Martin Buhmann-Küllig, Referent für Schuldnerberatung im Diakonischen Werk Schleswig-Holstein.

Anmeldung Schuldnerberatung Beratungsstelle
© epd-Bild/Werner Krueper

Einige Schuldnerberatungen berichten, dass die Fallzahlen seit einigen Wochen wieder steigen. Allerdings gibt es landesweit noch keine auffällige Häufung von Fällen, deren Überschuldungssituation offensichtlich allein in der Corona-Pandemie begründet liegt. 

Welche finanziellen Schwierigkeiten haben die Menschen durch die Corona-Krise?

Martin Buhmann-Küllig:  Viele Branchen waren vom Lockdown im März nachhaltig betroffen. Wir haben gesehen, dass insbesondere schlecht bezahlte Jobs zum Beispiel im Gastgewerbe, im Dienstleistungssektor oder im Tourismus weggefallen sind.

Die Corona-Pandemie hat auch gezeigt, dass Beschäftigte in Branchen, die seither zu Recht als systemrelevant bezeichnet werden, oft zu einem Niedriglohn arbeiten. Besonders prekär ist die Lage für Minijobber. Rund drei Viertel von ihnen arbeiten zum Niedriglohn und haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Dadurch bricht gerade Haushalten im unteren Einkommensbereich ein erheblicher Teil ihres verfügbaren Einkommens weg.

Erwerbstätige mit ohnehin schon niedrigeren Einkommen haben deutlich mehr unter den wirtschaftlichen Folgen zu leiden als Menschen mit höheren Einkommen. Sie haben häufiger finanzielle Verluste, weil sie zum Beispiel ihre Arbeitszeit reduzieren oder ihren Job ganz aufgeben mussten, um ihre Kinder während der Schließung von Kitas und Schulen zu betreuen. Bei Kurzarbeit erhalten sie wegen oft fehlender tarifvertraglicher Zuschüsse und niedriger Tarifbindung im Niedriglohnsektor seltener eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes.

Unsere Schuldnerberatungsstellen berichten uns, dass die Fallzahlen seit einigen Wochen wieder steigen. Allerdings gibt es landesweit noch keine auffällige Häufung von Fällen, deren Überschuldungssituation offensichtlich allein in der Corona-Pandemie begründet liegt.

Welche Maßnahmen hat die Politik ergriffen, um private Überschuldungen zu vermeiden oder zu mindern?

Buhmann-Küllig: Die Bundesregierung hat mit den Sozialschutzpaketen und dem Konjunkturpaket unglaubliche Summen auch in den Sozialbereich investiert. Pragmatische Änderungen wie zum Beispiel der vereinfachte Zugang zur Grundsicherung, die Regelungen zum Kurzarbeitergeld oder der einmalige Kinderbonus kommen natürlich auch überschuldeten Menschen zugute. Hervorzuheben sind unter anderem der befristete Kündigungsausschluss im Mietrecht sowie der Zahlungsaufschub bei Verbraucherdarlehens- und existenzsichernden Verträgen wie zum Beispiel über Telefon, Strom und Gas. Diese beiden Maßnahmen haben bis dato Räumungen und Kündigungen verhindert, sind allerdings zum ersten Juli ausgelaufen. Aus meiner Sicht hätte das Mieten-Moratorium verlängert werden müssen. Zudem zwingt die gegenwärtige Situation die Menschen, mehr zuhause zu bleiben, und damit steigen zwangsläufig die Kosten für Wasser und Energie. Das wird vor allem für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen zum Problem. Hier hätte ich mir mehr Weitsicht der Politik gewünscht.

Wie hat sich die Corona-Krise auf die Arbeit der Schuldnerberatungsstellen ausgewirkt?

Buhmann-Küllig:  Die Auswirkungen waren grundlegend. Das Beratungsangebot in Schleswig-Holstein wurde im März – wie in anderen Ländern auch – stark eingeschränkt: keine offenen Sprechstunden, nur Telefonberatung, Kommunikation per Mail, möglichst wenig direkter Kontakt. All das widerspricht dem Anspruch professioneller Schuldnerberatung. Krisenintervention war natürlich auch in den vergangenen Monaten immer möglich, und erreichbar waren die Beratungsstellen die ganze Zeit über.

Wie hat die Schuldnerberatung auf diese coronabedingten Probleme reagiert und wie wurde die Arbeit der Beratungsstellen in der Krise unterstützt?

Buhmann-Küllig: Die Beratungsstellen haben nach und nach die persönliche Beratung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben wiederaufgenommen, was mit einem großen organisatorischen Aufwand verbunden ist. Die schleswig-holsteinische Landesregierung hat bereits Ende März beschlossen, die Mittel für die Verbraucherinsolvenzberatung für die Zeit der Pandemie pauschal weiter zu zahlen. Diese Regelung war sehr weitsichtig, hat den Beratungsstellen Planungssicherheit gegeben und schlicht deren Existenz gewährleistet. Als Diakonisches Werk Schleswig-Holstein haben wir unsere Beratungsstellen fachlich unterstützt und für die Schuldnerberatung relevante Informationen zur Corona-Pandemie über unsere Homepage zur Verfügung gestellt.

Martin Buhmann-Küllig
© Diakonisches Werk Schleswig-Holstein

Martin Buhmann-Küllig ist Referent für Schuldnerberatung im Diakonischen Werk Schleswig-Holstein.

Wie, erwarten Sie, werden sich die Überschuldungs- und Verschuldungslage der Menschen in den kommenden Monaten entwickeln?

Buhmann-Küllig: Zurzeit ist vollkommen offen, wann die Corona-Pandemie zu einem Ende kommt. Erst dann werden sich die Folgen so richtig zeigen. Es ist davon auszugehen, dass uns Überschuldung als Folge der Pandemie über die nächsten Monate und vielleicht Jahre beschäftigen wird. Aktuell sind über sechs Millionen Menschen in Kurzarbeit. Besonders betroffen sind Beschäftigte in der Gastronomie und im Einzelhandel, wo ohnehin sehr niedrige Gehälter gezahlt werden. Für diese Menschen bedeutet die Kurzarbeit bis zu 40 Prozent Einbußen von ihrem Nettogehalt. Wenn es keine Aufstockung vom Arbeitgeber gibt, können diese Menschen finanziell nicht lange durchhalten. Ein weiterer Aspekt ist, dass viele Menschen arbeitslos geworden sind. Damit bricht Einkommen weg, das in der Haushaltsplanung, zum Beispiel für Kredite, fest eingeplant war.

Was bedeutet das für die Arbeit der Schuldnerberatungsstellen?

Buhmann-Küllig: Wir rechnen für den Herbst mit einem Run auf die Schuldnerberatung, dem wir hoffentlich gewachsen sein werden. Derzeit läuft ein Forschungsprojekt „Private Überschuldung in Deutschland: Machbarkeit und Zukunft von Schuldnerberatung in Zeiten der Covid-19-Pandemie“. Die Studie sucht nach wirksamen und nachhaltigen Maßnahmen zur Hilfe bei privater Überschuldung, die durch die Pandemie ausgelöst wurde. Ich bin auf die Ergebnisse sehr gespannt und erhoffe mir fachliche Impulse.

Welche institutionellen und sozialpolitischen Maßnahmen wären notwendig, um die zukünftigen Entwicklungen zu bewältigen und Hilfe für die betroffenen Menschen sicherzustellen?

Buhmann-Küllig: Die Corona-Pandemie hat arme Familien am meisten getroffen, nicht nur finanziell. Sie hat bestehende Gräben, etwa im Bildungsbereich, eher noch vertieft. Der Regelsatz im Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) ist nicht armutsfest – das ist keine neue Erkenntnis, aber Corona hat es offen gezeigt. Die Diakonie und andere Verbände haben eine Erhöhung von 100 Euro für die Zeit der Pandemie gefordert, was vollkommen gerechtfertigt ist.

Corona hat den Menschen viel abverlangt: Nicht nur die finanziellen Möglichkeiten, sondern auch das alltägliche Leben waren reduziert, die Schule wurde nach Hause verlegt und soziale Kontakte wurden minimiert. All das lief sehr geräuschlos, hat aber etwas mit den Menschen gemacht. Und daraus müssen Politik und Gesellschaft ihre Lehren ziehen. Wir werden in der weiteren Folge der Pandemie sehen, wie unverzichtbar dabei eine soziale Schuldnerberatung ist, die den Menschen als Ganzes in den Blick nimmt, psychosoziale Unterstützung leistet und neue Perspektiven eröffnet.

Interview: Diakonie/Sarah Spitzer