Tod und Sterben gehören zum Leben
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Heike Schimansky ist ehrenamtliche Mitarbeiterin im ambulanten Kinderhospiz Jona in Bremen. Als Freiwillige begleitet sie lebensbedrohlich erkrankte und schwerstbehinderte Kinder sowie deren Familien.

Heike Schimansky besucht Mia und ihre Familie einmal in der Woche zu Hause
Mia schläft an diesem Mittag besonders lange. Sie liegt in den Armen von Heike Schimansky, schnarcht und schnauft leise, offenbar genießt sie die Geborgenheit. In der integrativen Kindertagesstätte in Delmenhorst, die Mia immer vormittags besucht, spielen und toben Kinder, die Mia aber kaum aus der Ruhe bringen. Wenn sich das knapp zweijährige Mädchen doch mal im Halbschlaf rührt, redet Heike Schimansky sanft auf sie ein. Ein Moment der Ruhe auch für Mias Mutter Vivien König, die daneben sitzt und heute einfach mal nur zuschauen kann.
Seit anderthalb Jahren besucht Heike Schimansky einmal pro Woche als ehrenamtliche Helferin des ambulanten Kinderhospiz' Jona die schwerstbehinderte Mia und ihre Mutter Vivien. Es geht um drei Stunden Entlastung vom Alltag mit einem kranken Kind, um Begleitung beim Einkauf sowie bei Therapie- und Arztbesuchen, aber auch um Gespräche und ein offenes Ohr für die Sorgen der alleinerziehenden Mutter. Mia ist schwer mehrfach behindert, seit sie kurz vor und während der Geburt im Februar 2011 einen Sauerstoffmangel erlitt. Heute leidet sie unter Krampfanfällen, spastischen Lähmungen, kann ihre Bewegungen nur schwer koordinieren und hat Schwierigkeiten beim Essen und Trinken. "Sie ist hilflos wie ein Neugeborenes", sagt Heike Schimansky, 40 Jahre alt, selbst Mutter von zwei Kindern und eine Frau, die wirkt als könne sie warm und liebevoll, aber auch klar und resolut sein.
Eine Freundschaft auf Zeit
Seit 2006 ist sie bei Jona. Ihre erste Betreuung nach der Ausbildung zur Hospizbegleiterin war Amy, ein Mädchen aus Gambia, das nach einer Herz-Operation ins Wachkoma fiel. Später starb sie in den Armen von Heike Schimansky. Für eine "Freundschaft auf Zeit" wurde sie Teil der Familie, auch die Kinder haben Amy kennengelernt. "Ich musste mir Kritik dafür anhören, sie so nah an meine Kinder gelassen zu haben. Aber Tod und Sterben gehören für mich zum Leben dazu", sagt die gelernte Versicherungsfachangestellte, die schon früher im sozialen Bereich arbeiten wollte, aber Sorge hatte, die psychische Belastung nicht auszuhalten.
Wie bei allen Kindern mit Schwerstbehinderungen ist auch bei Mia der Tod allgegenwärtig. Manchmal klar und bedrohlich, manchmal verborgen unter der Oberfläche. "Am schlimmsten sind die Nächte. Ich bin jeden Morgen froh, wenn ich sie atmen höre", sagt die 26-jährige Mama Vivien. Zweimal musste Mia nach der Geburt reanimiert werden, nachdem sie einfach aufgehört hatte zu atmen. "Sie ist eine Kämpferin. Sie hätte schon mehrmals gehen können, ist aber immer wieder gekommen", wird Vivien König später mit Stolz über den Lebenswillen ihres einzigen Kindes sagen.
Wird sie ihre Tochter jemals laufen sehen?
In der Kita Süd wird das blonde Mädchen mit den Pausbäckchen und dem rosa Sweatshirt langsam wach. Heike Schimansky wiegt sie in den Armen. Mit dem Sitzen hat Mia Schwierigkeiten, immer wieder fällt ihr Kopf in den Nacken, ihre Augen rollen unkoordiniert umher. Was sie wirklich sieht, weiß man nicht genau. Sicher ist nur, dass sie zwischen hell und dunkel unterscheiden kann. Mias Gehör funktioniert gut. "Über Singen kann man gut mit ihr kommunizieren", erklärt Sonja Möller, Heilpädagogin in der integrativen Kindertagesstätte. Auch die anderen Kinder der Gruppe "Die Zwerge" sind sehr interessiert an Mia und kümmern sich um sie. "Es ist toll für sie zu sehen, dass es auch Kinder mit eigenem Tempo und sehr eigener Persönlichkeit gibt", sagt Sonja Möller. Für Vivien König ist der Gedanke, dass sie ihre Tochter wohl nie laufen sehen wird, trotzdem manchmal schwierig.
In der Kita wird es Zeit aufzubrechen. Auto fahren mag Mia eigentlich nicht so gerne. "Motor an, Kind an", sagt Heike Schimansky schmunzelnd über die oftmals lautstarke Abwehrreaktion des Mädchens. Aber die bleibt heute aus, Mia ist ausgeschlafen und bleibt gelassen. In der Zwei-Zimmer-Erdgeschoßwohnung der kleinen Familie finden sich viele Fotos von ihr im Regal, auf dem Couchtisch steht eine 300-Milliliter-Plastikflasche. Mia hat Hunger. Ihre Mutter zieht eine große Spritze mit Vanille-Milch auf, verbindet sie über einen Schlauch mit der Sonde an ihrem Bauchnabel und drückt die Flüssignahrung langsam aus der Kanüle. "Sonst bekommt sie Anti-Reflux-Nahrung, da sie sich früher nach fast jeder Mahlzeit erbrochen hat", erzählt ihre Mutter. Heute verträgt Mia die Flüssigkeit besser.
Froh über jeden kleinen Schritt
Auch in anderen Bereichen macht die bald Zweijährige Fortschritte. Die verkrampften Klumphände haben sich gelockert, seit ein paar Monaten lächelt sie wenn ihre Mama mit ihr spricht. Trotzdem bleibt Vivien König realistisch, was die weitere Entwicklung ihres Kindes betrifft: "Ich erwarte nichts und freue mich über jeden kleinen Schritt, den sie dann doch macht".
Einen großen gemeinsamen Schritt haben Mia und Vivien König möglicherweise bald vor sich. Es gibt Überlegungen, nach Hamburg zu Viviens neuer Lebenspartnerin zu ziehen. Diesen Schritt müssten Mutter und Tochter dann ohne Heike Schimansky machen. Aber Freundinnen werden die drei bestimmt trotzdem bleiben.
Text: Diakonie/York Schaefer