Pflegende Angehörige müssen im Alter besser abgesichert werden

17. Februar 2021
  • Journal
  • Pflegeversicherung

Menschen, die sich häufig über viele Jahre der Pflege ihrer Angehörigen gewidmet haben und in dieser Zeit entweder gar nicht oder nur in geringfügigem Umfang erwerbstätig waren, müssen mit teils erheblichen Einbußen bei ihrer gesetzlichen Altersrente rechnen. Warum sich das dringend ändern muss und wie Verbesserungen zur Absicherung pflegender Angehöriger im Alter aussehen sollten, erläutert Britta Fischer, Referentin für Arbeits- und Sozialrecht in der Diakonie Deutschland.

Stethoskop zu einem Herz verformt
© Diakonie/Francesco Ciccolella

Die aktuellen Rentenansprüche, die pflegende Angehörige für ihre Pflegezeiten erlangen, reichen für das Alter nicht aus.

Warum müssen die Rentenansprüche pflegender Angehöriger verbessert werden?

Britta Fischer: Die aktuellen Rentenansprüche, die pflegende Angehörige für ihre Pflegezeiten erlangen, reichen bei Weitem nicht aus, um die pflegearbeitsbedingten Lücken in ihrer Altersvorsorge zu schließen. Die gesetzliche Rente in Deutschland soll in erster Linie das Einkommen widerspiegeln, das im Laufe des Arbeitslebens durch Erwerbstätigkeit erzielt wurde. Für die große Mehrheit der Pflegepersonen liegen die Rentenanwartschaften nach einem Jahr Pflegetätigkeit jedoch bereits weit unter den Rentenanwartschaften, die sie in diesem Jahr durch eine Erwerbstätigkeit mit einem Durchschnittseinkommen erlangt hätten. Dabei entspricht der durchschnittliche tägliche Zeitaufwand einer Hauptpflegeperson – über alle Pflegegrade hinweg – einem Vollzeit-Arbeitstag. Außerdem dauert die häusliche Pflege eines Pflegebedürftigen im Durchschnitt zwischen 3 und 4 Jahre.

Wie lauten Ihre wichtigsten Forderungen?

Fischer: Auch Personen, die nicht erwerbsmäßig Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 pflegen und betreuen, sollen unter bestimmten Mindestvoraussetzungen Anspruch auf rentenversicherungsrechtliche Beitragsleistungen haben.

Die Höhe der Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige sollte außerdem nicht davon abhängig sein, ob die pflegebedürftige Person mit den Leistungen der Pflegeversicherung noch zusätzlich professionelle Hilfe in Anspruch nimmt. Pflegende Angehörige sind dann trotzdem weiterhin, unter Umständen täglich, mindestens aber mehrmals wöchentlich mit der Versorgung und Betreuung des Pflegebedürftigen oder zumindest mit der Organisation der Pflege beschäftigt. Sie haben deshalb gegebenenfalls auch ihre Arbeitszeit reduziert und entsprechende Einbußen ihres Erwerbseinkommens in Kauf genommen. Die aktuellen Abschlagsregelungen innerhalb eines Pflegegrades sollten daher abgeschafft werden.

Auch Pflegepersonen, die über 30 Stunden pro Woche erwerbstätig sind, sollen für ihre Pflegezeiten Rentenanwartschaften erwerben können. Nicht-erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen müssen nach Eintritt des Regelrentenalters weiter verlässlich Rentenansprüche für ihre Pflegearbeit erwerben können.

Mittelfristig muss das aktuelle Pflegesystem, das auf dem ehrenamtlichen Engagement der Familie oder anderer Angehöriger basiert, in ein servicebasiertes System umgewandelt werden. Durch den Übergang zur Pflegevollversicherung können professionelle Unterstützungsangebote deutlich gestärkt werden. Angehörige und andere privat pflegende Personen könnten dann zukünftig auch durch ein sozialversicherungspflichtiges Anstellungsverhältnis abgesichert werden.

Können verbesserte Rentenansprüche für pflegende Angehörige dazu beitragen, dass mehr Menschen bereit sind, Erwerbsarbeit und Pflege miteinander zu kombinieren?

Fischer: Aktuelle Studien haben ergeben, dass die Pflegebereitschaft insgesamt sinkt und gleichzeitig der Anteil derjenigen Pflegepersonen steigt, die neben der häuslichen Pflege voll oder nahezu voll erwerbstätig sind.

Es wäre besonders auch für Männer ein wichtiger Anreiz, mehr Verantwortung bei der Pflege- und Sorgearbeit zu übernehmen, wenn sie für ihre private Pflegetätigkeit, die sie neben einer Vollzeit- oder vollzeitnahen Erwerbsarbeit ausüben, zusätzliche Rentenansprüche erwerben könnten. Dies wäre auch ein wesentlicher Schritt zu einer partnerschaftlichen und gleichstellungsorientierten Verteilung von Sorge- und Pflegeaufgaben.

Zurzeit werden außerdem die Rentenbeiträge bei der sogenannten Mehrfachpflege -  wenn also mehrere Pflegepersonen einen Pflegebedürftigen versorgen - auf die Pflegepersonen aufgeteilt. Dadurch verringern sich die Rentenversicherungsbeiträge ihrer Höhe nach und sind nur noch sehr eingeschränkt geeignet, die Beitragslücken aufgrund einer reduzierten Erwerbstätigkeit zu kompensieren.

Mehrfachpflege dient aber dazu, die Erwerbstätigkeit und die Gesundheit der Pflegepersonen zu erhalten und die Qualität der Pflege zu Hause zu verbessern. Eine gegenseitige Entlastung sollte nicht mit einer Reduzierung der Rentenversicherungsbeiträge für die Pflegearbeit der einzelnen Pflegepersonen verbunden sein. Die aktuelle Rentenregelung bei Mehrfachpflege sollte deshalb abgeschafft oder zumindest überarbeitet werden. Darüber hinaus sollten aber auch die Möglichkeiten zur (auch teilweisen) Freistellung für berufstätige nicht-erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen zeitlich ausgeweitet werden und Entgeltersatzleistungen für die Freistellungsphase entsprechend dem Elterngeld eingeführt werden.

Interview: Diakonie/Justine Schuchardt