Nachgefragt: Zehn Jahre Bundesfreiwilligendienst – eine Bilanz

25. Juni 2021
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Vor zehn Jahren, am 1. Juli 2011, wurde mit dem Bundesfreiwilligendienst (BFD) ein neues Angebot eingeführt, das Menschen jeden Alters offensteht. Nach der Aussetzung der Wehrpflicht zum 30. Juni 2011 – und damit dem Ende des Zivildienstes – sollte der BFD die bereits bestehenden Freiwilligendienste ergänzen. Wie hat sich der BFD entwickelt und welche Schwachstellen gibt es noch? Rainer Hub, Referent für Freiwilliges Engagement bei der Diakonie Deutschland, zieht im Interview Bilanz.

Fünf Kinder und ein Erwachsener stehen zusammen auf einer Wiese und spielen ein Spiel
© Diakonie/Kathrin Harms

Vor zehn Jahren, am 1. Juli 2011, wurde mit dem Bundesfreiwilligendienst (BFD) ein neuer Freiwilligendienst eingeführt, der Menschen jeden Alters offensteht. Die meisten Freiwlligen im BFD sind jüngeren Alters: Bei den evangelischen Freiwilligendiensten ist etwa ein Fünftel der Freiwilligen im BFD älter als 27 Jahre.

Wie hat sich der Bundesfreiwilligendienst innerhalb dieser zehn Jahre entwickelt und wie wird das Angebot angenommen?

Rainer Hub: Der Start des Bundesfreiwilligendienstes war durch den knappen politischen Vorlauf extrem ambitioniert: Von den ersten Überlegungen bis zum Inkrafttreten des Gesetzes blieb nur ein Dreivierteljahr. Danach hat sich der BFD aber zügig entwickelt. Schon im ersten Jahrgang 2011/12 hat die Zahl der Freiwilligen die Erwartungen übertroffen. Das ging nur durch die große Offenheit der Zivilgesellschaft inklusive der Anbieter der Freiwilligendienste – wie Diakonie und evangelischer Jugend. Der Preis dafür war allerdings für alle Beteiligten hoch: Viele vertragliche Vereinbarungen und operative Fragen mussten im laufenden Prozess geklärt werden, vieles musste sich erst einspielen und zurecht ruckeln. Da es keine Blaupause gab, war es eine enorme Kraftanstrengung verbunden mit viel Bürokratie.

Mit dem BFD wurde erstmalig ein Freiwilligendienst für Menschen jeden Alters eingeführt. Gerade zu Beginn waren die Nachfrage und Altersstruktur der Freiwilligen regional verschieden. Dies hat sich nach den ersten drei bis vier Jahrgängen stabilisiert. Die meisten BFDlerinnen und BFDler sind jüngeren Alters: Bei den evangelischen Freiwilligendiensten ist etwa ein Fünftel der Freiwilligen im BFD älter als 27 Jahre. Jährlich gibt es in der Evangelischen Trägergruppe etwa 40.000 Freiwillige im BFD, die Anzahl ist durch den Bundeshaushalt gedeckelt. Auch während der Corona-Pandemie blieb die Nachfrage bei diesen Inlandsfreiwilligendiensten weiterhin stabil.

Der BFD sollte die bereits bestehenden Freiwilligendienste – Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) und Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) – ergänzen. Die Diakonie hat von Anfang an bemängelt, dass dadurch Parallelstrukturen zu bereits bewährten Angeboten aufgebaut werden. Wie bewerten Sie die praktische Umsetzung des Nebeneinanders verschiedener Formate mit Blick auf die letzten zehn Jahre?

Porträtfoto Rainer Hub

Rainer Hub ist Referent Freiwilliges soziales Engagement und Freiwilligendienste bei der Diakonie Deutschland.

Hub: Beim Wegfall von Wehrpflicht und Zivildienst hat sich die Diakonie im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) dafür eingesetzt, mit den zur Verfügung stehenden Bundesmitteln die bestehenden Freiwilligendienste auszubauen, statt ein neues Format zu schaffen. Dies war seitens des Bundes und der damaligen schwarzgelben Koalition jedoch nicht gewollt. Stattdessen wurden die alten Strukturen des Bundesamtes für Zivildienst und der Zivildienstschulen in jedem Bundesland umfunktioniert zu einem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) sowie Bildungszentren des Bundes. Dadurch gibt es bis heute bürokratische Parallelabläufe. Zudem ist die Vertragsgestaltung im BFD wesentlich umständlicher: Statt eines klassischen „Dreiecksvertrags“ zwischen Freiwilligen, Einsatzstelle und Bildungsträger – wie im FSJ und FÖJ – wird beim BFD ein Vertrag zwischen Freiwilligen und Bund geschlossen, der von Einsatzstelle und Träger akzeptiert werden muss. Das ist nur mit Aufwand zu praktizieren, weil Vorgänge und Formulare viel hin und her gehen müssen. Das BAFzA wird gerade in Bewerbungs-Stoßzeiten bei der Genehmigung der Anträge zu einer Art „Flaschenhals“, was den Prozess extrem erschwert und verlangsamt.

Wie kann der Bundesfreiwilligendienst noch verbessert werden – welche Entwicklung wäre wünschenswert?

Hub: Die bürokratischen Vorgänge müssen unbedingt vereinfach werden. Zudem haben wir von Anfang an kritisiert, dass BFDlerinnen und BFDler an fünftägigen bildungspolitischen Seminaren der Bildungszentren des Bundes teilnehmen müssen. Seit nunmehr über zehn Jahren machen wir uns stark dafür, dass jeder Bildungsträger diese Seminartage integriert in sein jeweiliges Konzept selber durchführen kann – so, wie es sich beim FSJ und FÖJ seit Jahrzehnten bewährt hat.

Parallel zum Ausbau des BFD wünschen wir uns eine Stärkung der Freiwilligendienste insgesamt: Auch für FSJ und FÖJ gibt es Konzepte und Eckpunkte zur Steigerung der Einsatzmöglichkeiten. Und auch die Eckpunkte eines Jugendfreiwilligenjahres von Ende 2018 weisen diese Richtung auf. Diese müssen endlich aus der klemmenden Schublade geholt und in der kommenden Legislaturperiode umgesetzt werden.

Interview: Diakonie/Sarah Spitzer