Nachgefragt: Warum Suchtberatung eine verlässliche Förderung braucht

12. Juli 2019
  • Journal
  • Gesundheit und Pflege
  • Sucht im Alter

Suchtberatungsstellen erhalten immer weniger öffentliche Gelder und müssen aus Kostengründen ihre Angebote reduzieren. Wie sich diese Unterfinanzierung auf die Suchthilfe auswirkt, erläutert Martina Kirsch von der Beratungsstelle für Suchtfragen in Heidelberg.

Martina Kirsch
© Walter Mier

Martina Kirsch von der Beratungsstelle für Suchtfragen in Heidelberg

Was bedeutet die Unterfinanzierung konkret für Ihre Arbeit in der Suchtberatung? 

Martina Kirsch: In der Heidelberger Suchtberatung betreuen wir pro Jahr etwa 1.800 Menschen in etwa 2.200 Beratungsgesprächen und 2.500 Therapiegesprächen. Dies ist mit den von Stadt, Landkreis und Land insgesamt 3,75 bezuschussten Stellen aber gar nicht möglich. Daher sind wir unserem Träger der Heidelberger Stadtmission sehr dankbar, dass wir mit insgesamt 6,1 Vollzeitkräften und einer ebenfalls nicht geförderten 0,5 Verwaltungsfachkraft arbeiten dürfen. Allerdings entsteht durch die zu geringe Anzahl an geförderten Stellen jedes Jahr ein hohes Defizit. Auf Dauer wird dies nicht mehr zu leisten sein. Ein weiteres Problem ist die zu geringe Förderung pro Stelle. Die Bruttopersonalkosten für eine erfahrene Sozialarbeiterin betragen etwa 65.000 Euro, aber wir erhalten nur 49.830 Euro. Die Differenz muss also der Träger übernehmen und sie wird von Jahr zu Jahr größer.

An Orten wie Mannheim führt diese Unterfinanzierung dazu, dass die Suchtberatungsstelle der Diakonie und der Caritas zusammengelegt wurde. Eigentlich eine schöne Sache, man kann Kosten sparen und Synergien schaffen. Allerdings geht auch die Vielfalt verloren. Bisher haben beide Suchtberatungen jeweils wöchentlich je eine offene Sprechstunde angeboten, die eine in der Mittagszeit, die andere am Nachmittag. Nun wurde die Nachmittagssprechstunde ersatzlos gestrichen. Wie sich die Zusammenlegung auf die Anzahl der Hilfesuchenden auswirkt, ist noch nicht klar, aber es ist zu befürchten, dass nun weniger Menschen den Weg ins Suchthilfesystem finden werden.

Warum braucht es spezielle Suchtberatungsstellen, wenn Ratsuchende sich auch von ärztlichem oder therapeutischen Personal beraten lassen können?

Kirsch: Unsere Suchtberatungen unterscheiden sich von ärztlichem oder anderen therapeutischem Personal darin, dass wir kostenfrei, niedrigschwellig und bei Bedarf auch anonym beraten. Ein großer Vorteil sind unsere wohnortnahen offenen Sprechstunden. Hier können Ratsuchende einfach ohne Termin - spontan und kurzentschlossen - vorbeikommen, erst einmal ein zieloffenes Gespräch führen und dann selber entscheiden, wie es weitergehen soll. Selbstverständlich unterliegen wir der Schweigepflicht und alles Gesagte wird vertraulich behandelt. Weder die Krankenkasse noch die Rentenversicherung erfährt davon. Ein weiteres Kriterium ist: wir nehmen uns Zeit. Zurzeit schaffen wir es auch noch, neben der offenen Sprechstunde, Termine meist innerhalb von einer Woche anzubieten. Bei Ärzten, Psychotherapeuten und Ambulanzen sind die Wartezeiten meist deutlich länger.

Durch unser niedrigschwelligen Angebote können wir, im Gegensatz zu anderen Anlaufstellen für suchtkranke Menschen, viele Betroffene bereits sehr früh in Ihrem Veränderungsprozess aus der Sucht heraus erreichen und dabei begleiten. Zusätzlich kooperieren wir mit Schulen, Betrieben, Krankenhäusern, stationären Suchthilfe-Einrichtungen und Selbsthilfegruppen. Als ambulante Suchtberatung übernehmen wir die wichtige Funktion einer Lotsin und schnittstellenübergreifenden Begleiterin der suchtkranken Menschen.

Was ist notwendig, damit Sie in der Suchtberatung weiterhin gut arbeiten können und den Betroffenen tatsächlich helfen können? 

Kirsch: Am wichtigsten für unsere Arbeit ist eine verlässliche Finanzierung von ausreichend vielen Stellen und die Anpassung dieser Förderung. Im Grunde müsste allen Akteuren im Gesundheitswesen klar sein, dass die Arbeit der Suchtberatung im Vergleich zu anderen Maßnahmen der Suchtbehandlung ausgesprochen kostengünstig ist. Ich bin davon überzeugt, dass eine auskömmliche Finanzierung und eine Stärkung der Arbeit der ambulanten Suchtberatung das große Problem der Suchthilfe und Suchtmedizin – die enorm hohen Rückfallraten – reduzieren kann und damit mittelfristig sogar deutlich Kosten gespart werden können.

Aus gesellschaftlicher Sicht wäre die Entstigmatisierung der Sucht eine große Hilfe. Sie würde es den Betroffenen erleichtern, frühzeitig Hilfe aufzusuchen und würde es auch den politischen Entscheidungsträgern erleichtern, Gelder für die Suchthilfe bereit zu stellen. Wir müssen uns klarmachen, dass Sucht ein Problem ist, das alle Schichten unsere Gesellschaft betrifft und, dass die Betroffenen ebenso unsere Hilfe verdient haben wie Menschen mit anderen schwerwiegenden Erkrankungen.

Redaktion: Diakonie/Urlike Pape