Nachgefragt: Ein Inklusionsaktivist zum Bundesteilhabegesetz (BTHG)

28. November 2019
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  • Inklusion und Behindertenhilfe
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Antonio Florio hat seit seiner Geburt eine Tetraspastik, sitzt im Rollstuhl und möchte mit persönlicher Assistenz möglichst selbstbestimmt in seiner eigenen Wohnung leben. Wie trifft ihn das Bundesteilhabegesetz (BTHG)? Drei Fragen an den Inklusionsaktivisten und Vorsitzenden des Vereins "Selbstbestimmt Leben im Landkreis Ludwigsburg".

Antonio Florio mit seinem Kopfschreiber am Computer
© Pierre John

Mit seinem Kopfschreiber arbeitet Antonio Florio als Bürokraft

Seit 2017 ist das Bundesteilhabegesetz (BTHG) in Kraft. Was hat sich dadurch für Sie verändert? Was war für Sie früher einfacher ohne das BTHG?

Antonio Florio: Früher gab es kein Poolen. Das heißt, wir mussten uns nicht die Assistenz aufteilen. Konkret bedeutet dies jetzt: Zwei Menschen mit Behinderung, die in Wohnungen nicht weit voneinander entfernt leben, müssen sich die Assistenz teilen. Eine endgültige Entscheidung ist in diesem Punkt noch nicht gefallen, da es sehr viele Proteste von Expertinnen und Experten in eigener Sache gab. Doch ein klares Nein, dass dies nicht geschieht, wurde auch nicht getätigt.

Wie ist es jetzt für Sie mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG)?

Florio: Ein sehr wichtiger Punkt ist, dass wir Menschen mit Behinderung die direkten Ansprechpartner für die Kostenträger sind. Das wurde durch das BTHG klar definiert. Die Bedarfsermittlung von Menschen mit Behinderung ist im BTHG ebenfalls ein wichtiger "Baustein", jede Person soll die Unterstützung und Assistenz erhalten, welche sie benötigt.

Dennoch gibt es nach wie vor den negativen Aspekt des Kostenvorbehalts. Es ist wirklich ein Armutszeugnis, dass Menschen mit Behinderung aufgrund von Mehrkosten nicht in den eigenen vier Wänden leben dürfen, sondern ins Heim "eingewiesen" werden. Wir haben 2019 zehn Jahre Behindertenrechtskonvention (BRK), die von Deutschland unterschrieben wurde und somit geltendes Recht ist. In dieser BRK ist der Kostenvorbehalt nicht berücksichtig, doch in den Gesetzen wurde der Kostenvorbehalt nicht gestrichen. Zum einen ist es ein Verstoß gegen die unterzeichnete BRK, zum anderen ist eine "Einweisung" ins Heim aufgrund von Mehrkosten nicht menschenwürdig und verstößt zudem gegen den Artikel 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Was wünschen Sie sich als Inklusionsaktivist?

Florio: Im Mai 2016 haben rund hundert Menschen mit Behinderung - auch ich - am Reichstagsufer in Berlin gegen das Bundesteilhabegesetz protestiert. Die Botschaft war: "Wir sind da und wir lassen uns nicht unterkriegen!" Wir waren in dieser Nacht eine Einheit. Diese Einheit müssen wir wieder finden und uns stärker und dauerhafter vernetzen. Es nützt leider nichts, wenn jeder für sich um seine Rechte streitet. Nur gemeinsam können wir nachhaltige und gerechte Inklusion schaffen!

Redaktion: Diakonie/Ulrike Pape