Nachgefragt: Corona-Krise brachte pflegende Angehörige an ihre Grenzen
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Rund 4,7 Millionen Menschen in Deutschland pflegen ihre Angehörigen. Eine Studie zu pflegenden Angehörigen des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) und der Berliner Charité zeigt, dass sich ihre Lage durch die Corona-Pandemie teilweise gravierend verschlechtert hatte. Welche Unterstützung sie jetzt brauchen, erklärt Erika Stempfle, Referentin für ambulante Altenhilfe bei der Diakonie Deutschland.

Rund 4,7 Millionen Menschen in Deutschland pflegen ihre Angehörigen. Die Corona-Krise hatte ihre Situation teilweise erheblich erschwert.
Wie hat sich durch Corona die Situation für pflegende Angehörige verändert?
Erika Stempfle: Die allgemeinen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus haben den Alltag pflegender Angehöriger und pflegebedürftiger Menschen teilweise erheblich erschwert. Zu Beginn der Corona-Krise sind innerhalb kürzester Zeit Dienstleistungen und Hilfestrukturen im Wohnumfeld weggebrochen: In den meisten Bundesländern mussten Tagespflegeeinrichtungen schließen. Kontakte zu Familienangehörigen, Nachbarn und Freunden waren nicht möglich oder stark reduziert. Aus Angst, sich anzustecken, nahmen pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen einige Angebote auch nicht mehr wahr. Berufstätige Angehörige mussten Beruf und Pflege unter einen Hut bringen – und sich dabei teilweise noch um die Betreuung und den Unterricht ihrer eigenen Kinder kümmern. Hinzu kamen teilweise ökonomische Probleme und Zukunftsängste. Diese große Mehrbelastung aber auch die schlechtere pflegerische Versorgung ihrer Angehörigen brachte viele Menschen an ihre Grenzen.
Besonders belastet waren Angehörige, die einen Menschen mit Demenz versorgen. Denn für Menschen mit Demenz ist es wichtig, dass ihre gewohnten Routinen erhalten bleiben. Veränderungen und Stress wirken sich nachteilig aus. Auch haben die Betroffenen teilweise erheblichen Bewegungsdrang und verstehen die Pandemie-Regeln nicht. Mit diesen Problemen waren Angehörige demenzkranker Menschen zusätzlich konfrontiert.
Welche Unterstützung für pflegende Angehörige gibt es in der Corona-Krise?
Erika Stempfle: Für pflegende Angehörige gab es zu Beginn der Corona-Krise die allgemeinen Entlastungsmöglichkeiten in der Pflege wie ambulante Pflege, Verhinderungspflege, die Regelungen des Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetzes – allerdings nur, sofern die Angebote nicht aus Infektionsschutzgründen, wie beispielsweise bei der Tagespflege, geschlossen wurden. Sukzessive wurden weitere Entlastungsmöglichkeiten aufgebaut wie die Verlängerung des Anspruchs auf Pflegeunterstützungsgeld auf 20 Tage, Flexibilisierungen bei der Pflegezeit und Familienpflegezeit oder ein höherer Beitrag für Pflegehilfsmittel. Zudem wurden Beratungsangebote für die Corona-Zeit für pflegende Angehörige auch per Telefon oder Video stärker betont und verschiedene Informationsportale für pflegenden Angehörige aufgebaut, beispielsweise das Portal des ZQP mit Hilfen für pflegende Angehörige.
Hinzu kommt, dass die Tagespflegeeinrichtungen ihre Angebote, wenn auch mit eingeschränktem Betrieb und mit einem Hygiene- und Schutzkonzept, wiederaufnahmen.
Was müsste noch getan werden, um die Menschen in der Pflege ihrer Angehörigen derzeit zu entlasten?
Erika Stempfle: Die gewohnten Versorgungsstrukturen müssen gestärkt werden. Dazu müssen beispielsweise Tagespflegeeinrichtungen oder ambulante Pflegedienste so unterstützt werden, dass sie ihre Angebote auch im Krisenfall weiter aufrechterhalten können – etwa durch verbesserten Gesundheitsschutz oder mehr Testkapazitäten. Dies ist vor allem bedeutend, wenn sich das Infektionsgeschehen wieder verschärft. Wichtig ist, pflegende Angehörige gerade in einer Krisensituation wie der Corona-Pandemie auch psychisch zu entlasten. Dazu müssen psychologische Beratungsstellen für pflegende Angehörige weiter ausgebaut werden.
Unabhängig von der derzeitigen Corona-Krise hält es die Diakonie für hilfreich, die Leistungen der Pflegeversicherung für pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige zu vereinfachen. Dazu sollten die bisherigen Leistungsbeträge der Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege und Tagespflege in ein Entlastungsbudget fließen, das flexibel eingesetzt werden kann. Außerdem setzt sich die Diakonie dafür ein, Pflegezeiten stärker für die Rentenansprüche zu berücksichtigen und die berufliche Freistellung zur Pflege Angehöriger zu verbessern – durch eine Lohnersatzleistung für bis zu drei Jahre, ähnlich dem Elterngeld. Das könnte die ohnehin schon schwierige Situation pflegender Angehöriger grundlegend verbessern.
Redaktion: Diakonie/Sarah Spitzer