Markthalle und Demenz-WG
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Das klassische Pflegeheim ist von gestern. Karin Stiebler von der Evangelischen Heimstiftung in Baden Württemberg erklärt, wie man heute plant und baut.

Karin Stiebler, ist bei der Evangelischen Heimstiftung Regionaldirektorin in der Region Rems-Neckar-Alb
Zu Hause ist es doch am schönsten für alte Menschen, oder?
Karin Stiebler: Sicher wünschen sich die meisten Menschen auch im Alter ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden. Dafür sollte man rechtzeitig Vorsorge treffen und die Wohnung so barrierefrei wie möglich einrichten. Außerdem kann man heutzutage eine ganze Reihe an technischen Assistenzsystemen nutzen, die zum Beispiel erkennen, ob der Herd ausgeschaltet oder der Wasserhahn abgedreht ist. Trotzdem ist es nicht für alle möglich, zu Hause zu bleiben. Wir entwickeln deshalb Wohn- und Betreuungsformen, in denen sich die Menschen wie zu Hause fühlen.
Wie unterscheiden sich diese Angebote von herkömmlichen Modellen?
Stiebler: Ganz neu ist unser Konzept "Wohnen-PLUS", das wir in diesem Jahr in Hochdorf realisieren. In einem Gebäudekomplex werden pflegebedürftige Menschen in eigenen Wohnungen leben und individuell zusammenstellen, welche Leistungen sie in Anspruch nehmen: von der Tagespflege über ambulante Dienstleistungen bis zu allen möglichen hauswirtschaftlichen Angeboten. Wer nicht mehr selber kochen kann oder will, kann im Begegnungsraum essen. Man kann sich beim Anziehen, Zähneputzen und Waschen helfen lassen oder es selber machen. Auch die Angehörigen können sich einbringen und etwa beim Putzen, Kochen oder Sonstigem helfen. Durch dieses Baukastensystem wollen wir eine hohe Versorgungssicherheit bei größtmöglicher Selbstbestimmung erreichen.
Vemutlich bei nicht geringen Kosten?
Stiebler: Das kann man so pauschal nicht sagen, gerade wegen des individuellen Ansatzes. Anders als in einem Pflegeheim gibt es bei diesem Angebot keinen fixen Pauschalbetrag.
Ist solch ein Modell schon irgendwo anders umgesetzt worden?
Stiebler: Wir werden in diesem Wohnstift in Hochdorf eine Vielzahl von einzelnen Ideen realisieren, die teilweise schon an anderer Stelle realisiert wurden. Mit dieser Kombination und Vielfalt betreten wir aber Neuland. Aber wer sich nicht auf den Weg macht, kommt nie an.
Was sind das noch für Ideen?
Stiebler: Da gibt es einiges. Zur Unterstützung unserer Dienstleistungen wird in dem Haus jede Menge Technik zum Einsatz kommen, ein Sensorensystem beispielsweise, das Alarm schlägt, wenn sich ein Bewohner in einem vorgegebenen Zeitraum nicht bewegt. Natürlich muss er damit einverstanden sein. Im oberen Stockwerk wird es eine ambulant betreute Wohngemeinschaft mit zwölf Zimmern und einer Rund-um-die-Uhr-Präsenz durch Alltagsbegleiter geben. Die Zielgruppe in diesem Fall sind Menschen mit Demenz.
Im Erdgeschoss haben wir einen großen Veranstaltungsbereich eingeplant, der von der Breitwiesenschule gegenüber auch als Mensa genutzt wird. Und die Gemeinde Hochdorf baut im vorderen Teil des Komplexes noch eine kleine Markthalle. Unsere Bewohner wohnen also mitten im lebendigen Geschehen. Ich bin sicher, dass dies ein Vorzeigeprojekt für die Zukunft werden wird. Ein anderes Vorzeigeprojekt, an dem gerade gebaut wird, ist der Palmsche Garten in Deizisau.
Was wird das sein?
Stiebler: Der Palmsche Garten ist als Pflegeheim konzipiert, in dem es 50 Einzelzimmer in größeren Hausgemeinschaften und sechs barrierefreie Wohnungen mit Komplettausstattung gibt. Zu den Besonderheiten gehört vor allem ein Hospizzimmer, das im Notfall zur Verfügung steht, wenn etwa schwer kranke oder sterbende Menschen ihre letzten Tage nicht mehr zu Hause verbringen können. Auch dieses Haus bauen wir bewusst ganz zentral in der Ortsmitte, nebenan ist ein Kindergarten, gegenüber das Rathaus. Lebendiger geht es nicht.
Was muss noch besser werden in der Zukunft, auch mit Blick auf die demografische Entwicklung?
Stiebler: Die Landesregierung hat mit dem neuen Wohn-, Teilhabe-und Pflegegesetz, das seit Mai 2014 gilt, einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht, weil es eine Vielfalt von unterstützenden Wohnformen ermöglicht. Dadurch sind Angebote wie "WohnenPLUS" erst realisierbar geworden, weitere innovative Konzepte werden folgen.
Damit ist es aber nicht getan. Wir müssen ein Klima in Baden-Wür ttemberg schaffen, das den Bau und den Betrieb von bedarfsgerechten und am Gemeinwesen orientierten Pflegeeinrichtungen attraktiv macht. Dazu muss sich die Gesellschaft stärker mit dem Thema Pflege auseinandersetzen. Und wir brauchen eine Pflegeversicherung, die so ausgestattet ist, dass sie für jeden Bewohner den Aufwand vollständig übernehmen kann. Erst dann haben wir eine gerechte Leistungsverteilung.
Interview: Diakonie/Markus Heffner
Weitere Informationen
In der Ortsmitte von Deizisau/Baden-Württemberg wird derzeit das Quartiershaus Palmscher Garten gebaut – mit sechs barrierefreien Zweizimmerwohnungen und 50 Einzelzimmern in vier Hausgemeinschaften. In das Gebäude sollen auch ein Kindergarten und ein Café einziehen. Zudem ist ein Hospiz-Palliativzimmer vorgesehen. Die ersten Bewohner sollen 2016 einziehen können. In Hochdorf hat sich der Gemeinderat für das Betreuungskonzept "WohnenPLUS" und gegen ein klassisches stationäres Pflegeheim entschieden, das auch zur Wahl stand. In dem Gebäudekomplex wird es 42 barrierefreie betreute Zweizimmerwohnungen geben, eine Zwölfpersonenwohngemeinschaft, eine Tagespflege für 15 Menschen sowie einen ambulanten Dienst. Der Bezug ist für Sommer 2018 vorgesehen. Träger ist in beiden Fällen die Evangelische Heimstiftung.