Krank und ohne Papiere: Geschichte von Adriana S.
- Journal
- Gesundheit und Pflege
- Flucht und Migration
- Menschen ohne Papiere
Frau Adriana S., 55 Jahre, aus Chile, seit 17 Jahren in Deutschland, erzählt davon, wie es ist, krank zu sein und keine Papiere zu haben.
"Als die Ärztin mich wegen meines Bluthochdrucks untersuchte, sagte sie, dass das Leben, das ich führe, der ganze Stress, die Gründe seien für meine Krankheiten.
Bevor ich die Anlaufstelle kennengelernt habe, bin ich nur manchmal privat zu Untersuchungen gegangen. Ich habe immer gedacht, dass Menschen ohne Papiere alles selbst zahlen müssen. Eine Freundin hat mir dann von der Anlaufstelle berichtet. Seitdem habe ich viele Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus oder Versicherung dorthin geschickt. Ich gehe seit etwa 16 Jahren dorthin. Würde es die Anlaufstelle nicht geben, müsste ich alles privat bezahlen und dafür habe ich kein Geld. Alle Ärzte, die mich jetzt behandeln, habe ich über die Anlaufstelle gefunden: den Zahnarzt, die Gynäkologin, den Allgemeinarzt, eine Orthopädin, alles, was mit meinen Nieren zu tun hat. Viele kennen mich schon lange und manchmal gehe ich direkt hin ohne die Vermittlung der Anlaufstelle. Aber ich schäme mich jedes Mal, weil ich keine Versicherungskarte habe und sagen muss, dass ich über die Anlaufstelle komme.
Normalerweise zahle ich einen Teil der Medikamente, da ich arbeite. Einige kann ich auch über die Anlaufstelle günstiger kaufen. Sie übernimmt auch einen Teil der Kosten, wenn ich zu wenig Geld habe. Manchmal geben mir auch die Ärzte Medikamente, die sie in der Praxis haben.
Am häufigsten gehe ich zum Allgemeinarzt, um einen Nierenultraschall zu machen. Er vermittelt mich notfalls ins Krankenhaus oder zum Spezialisten. Ein weiteres großes Problem sind meine Zähne. Es wurden mir viele Zähne gezogen, weil es günstiger ist, eine Zahnprothese zu machen als teure Behandlungen. Ich hab mir lange Zeit keine Kompressionsstrümpfe gekauft, weil ich sie mir nicht leisten konnte und nicht wollte, dass die Anlaufstelle die ganzen Kosten trägt. Ich brauche die Strümpfe aber, weil ich zweimal eine Thrombose im linken Bein hatte.
Ich habe Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache, aber meist kriege ich es irgendwie hin. Viele von den Ärzten, zu denen ich gehe, sprechen Spanisch. Ins Krankenhaus wurde ich von Menschen aus der Anlaufstelle begleitet oder von Freunden.
Vor vier Jahren musste ich ins Krankenhaus, weil ich hohes Fieber, wahnsinnige Schmerzen und Krämpfe hatte. Die Zysten in meinen Nieren hatten sich entzündet. Ich bin direkt ins Krankenhaus gegangen. In der Rettungsstelle haben sie mich nach Ausweis und Krankenversicherung gefragt, ich hab ihnen gesagt, dass ich kein Visum habe. Sie haben mich gefragt, ob ich die Kosten tragen könnte und ich habe gesagt, dass ich das nicht könne. Ich habe meine Anschrift nicht angegeben und das Krankenhaus hat keinen Druck gemacht. So konnte ich keine Rechnung erhalten und keiner hat bezahlt. Ich bin 3 oder 4 Tagen im Krankenhaus geblieben.
Das Ganze könnte man vermeiden, wenn für uns möglich wäre, in eine Krankenversicherung aufgenommen zu werden. Wenn ich es dürfte, würde ich mir eine Versicherung kaufen, wie man es in anderen Ländern machen kann. Wir arbeiten alle und die Deutschen, für die wir arbeiten, würden gerne einen Arbeitsvertrag mit uns machen, aber sie dürfen es nicht, weil wir keinen legalen Aufenthaltsstatus haben. Dürfte ich legal arbeiten, könnte ich Steuern zahlen und hätte eine Krankenversicherung."
Zum Hintergrund:
Frau S. hat keinen legalen Aufenthaltsstatus. Sie ist eine so genannte Overstayerin, d.h. sie ist mit Tourist*innen-Visum eingereist und hiergeblieben. Sie lebt ununterbrochen seit 17 Jahren in Deutschland. Frau S. ist erwerbstätig, sie arbeitet bei verschiedenen deutschen Familien als Babysitter und Putzfrau. Bei einigem Arbeitgeber*innen ist sie bereits seit mehreren Jahren beschäftigt.
Frau S. leidet an verschiedenen gesundheitlichen Problemen, die meisten davon sind chronisch und bedürfen regelmäßiger ärztlicher Kontrolluntersuchungen: Bluthochdruck, Schilddrüsenprobleme, Zysten an den Nieren, die sich jedes Mal so stark entzünden, dass sie ins Krankenhaus muss. Hinzu kommen Zahnprobleme, Depressionen, orthopädische Probleme und Osteoporose (Knochenschwund). Sie nimmt täglich Medikamente für die Schilddrüse und gegen Bluthochdruck und Depressionen.
Zum rechtlichen Hintergrund: Faktisch keine Möglichkeit zur Krankenversicherung
Zwar gilt in Deutschland eine allgemeine Krankenversicherungspflicht für alle im Bundesgebiet lebende Menschen. Arbeitnehmer*innen haben zudem einen Anspruch auf Krankenversicherung, unabhängig davon, ob es sich um ein "erlaubtes" Arbeitsverhältnis handelt. Für den Eintritt in eine gesetzliche oder private Krankenversicherung und den Bezug von Versicherungsleistungen sind allerdings umfangreiche Mitwirkungspflichten durch die zu versichernde Person und ggf. den Arbeitgeber zu erfüllen. Hier besteht jedoch die Gefahr, dass personenbezogene Daten an die Ausländerbehörde weitergegeben werden. Je nach Ausgang der Prüfung durch die Ausländerbehörde wird die betroffene Person in der Folge aus der Bundesrepublik ausreisen müssen bzw. wenn sie nicht freiwillig ausreist, abgeschoben werden. Die Krankenkassen lehnen die Betroffenen spätestens dann ab, wenn ein Aufenthaltsstatus nicht vorgezeigt werden kann.
Das Fallbeispiel von Frau Adriana S. ist der Broschüre "Krank und ohne Papiere" der Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität entnommen.