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Wenn die Sorgen groß sind, sind Telefonseelsorger gefragte Gesprächspartner. Erich Franken macht den Job in Krefeld seit mehr als zwanzig Jahren – und bietet Lebenshilfe auch für Menschen in suizidalen Situationen.

Erich Franken ist der stellvertretende Leiter der Telefonseelsorge Krefeld, hier im Portrait bei der Arbeit im Büro
Es ist ein Ort der Verschwiegenheit, ein Schutzraum, von dem aus keine Details nach draußen dringen. Zuhören? Nicht erlaubt. Das gilt auch für einen Reporter. „Viele Anrufer haben schon so oft Vertrauensbrüche in ihrem engsten Umfeld erlebt und sind während des Seelsorgegesprächs empfindsam für Störungen aller Art“, sagt Erich Franken, Mitarbeiter der Telefonseelsorge in Krefeld.
Der 50-Jährige befindet sich in seinem Büro. Man könnte meinen, ein Sachbearbeiter einer Behörde tut hier seinen Dienst. Der Computer, die Papiere auf dem Tisch, die Aktenordner im Regal – man ahnt kaum, dass im Büro über das gesprochen wird, was Menschen im Innersten bewegt: über Beziehungsprobleme, Liebe und Sexualität. Über Trauer, Tod und oft auch über das Verlangen, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen.
Ratschläge ohne pädagogischen Anspruch
Es sind die Einsamen und Enttäuschten, die sich melden. Menschen mit Problemen, mit Brüchen in ihrer Biografie. Sie alle sprechen mit Erich Franken und seinen Kollegen über ihre Geheimnisse, die sie nur im Schutz der Anonymität preisgeben. Und die Seelsorger hören zu. Manchmal geben sie auch Ratschläge, „aber ohne pädagogischen Anspruch“, sagt Erich Franken. Seine Stimme klingt ruhig, sanft, unaufgeregt. Sie vermittelt den Eindruck: Deine Not, dein Anderssein ist in Ordnung. Sprich darüber, lass es raus, damit es dich nicht runterzieht.
Seit mehr als zwanzig Jahren macht Erich Franken den Job. Nach dem Studium der Sozialarbeit in Aachen bewarb er sich. 29 Jahre war er jung – und hatte zuvor im Urlaub einen schweren Schicksalsschlag erlebt. „Ein Badeunfall“, sagt Erich Franken nur, als spreche er über etwas, das in diesem Moment ganz weit weg ist. Und doch zeigen sich die Folgen: Seit dem Unfall ist Erich Franken querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl. „Danach habe ich eine Arbeit gesucht, die meiner Qualifikation und Behinderung entspricht.“
Erich Franken öffnet die Datenbank seines Computers. Hier halten er und seine Kolleginnen und Kollegen in anonymer Form fest, worüber sie mit Anrufern sprechen. Da war zum Beispiel der Anruf eines Mannes, als Erich Franken vergangene Woche Nachdienst hatte. „Der Anrufer hat sich Zeit seines Lebens von seinen Eltern nicht wertgeschätzt gefühlt“, erzählt der Seelsorger, bedacht darauf, nicht zu sehr ins Detail zu gehen. Der Anrufer sehne sich nach einer Partnerin und habe schon manche Enttäuschung erlebt. Es war auch die Einsamkeit, die ihn um 3.15 Uhr zum Hörer greifen ließ.
Erich Franken klickt sich weiter durch die Datenbank. Das Feld „Trauer“ hat er oft angekreuzt. „Gerade älteren Menschen macht sie zu schaffen, wenn sie etwa über den Tod eines Lebenspartners nicht hinwegkommen.“ Häufig würden die Personen aus ihrem Umfeld hören: „Jetzt muss aber mal langsam Schluss sein mit der ewigen Trauer!“ Ist es aber nicht. Letzte Hoffnung: die Telefonseelsorge.
Der Wunsch, das Leben vorzeitig zu beenden
Das gilt besonders auch für Menschen, die psychisch krank sind. Erich Franken schätzt, dass sie die größte Gruppe der Anrufer ausmachen. Depressionen, Schizophrenie oder Angststörungen – viele seien mehrfach in ambulanter und stationärer Therapie gewesen, ohne dass sich ihr Zustand verbessert hätte. „Gerade bei den chronisch Kranken wissen Ärzte nach Jahren nicht mehr, was sie tun sollen.“ Für die Betroffenen aber geht das Leben weiter, und so mancher hegt insgeheim den Wunsch, es vorzeitig zu beenden.
In fünf bis zehn Prozent der Gespräche würden suizidale Gedanken bis hin zu akuten Suizidabsichten geäußert, erzählt Erich Franken. Gelegentlich komme es vor, dass die Wahrnehmung eines Anrufers so eingeengt sei, dass dieser sich selbst nicht mehr von Suizidphantasien distanzieren könne. „In einem Gespräch beispielsweise kreiste ein Anrufer permanent um den Gedanken, sich ein bestimmtes Messer aus der Küchenschublade zu holen, um sich damit die Pulsadern aufzuschneiden“, erzählt der Telefonseelsorger.
In einer solchen Situation versucht er, die Adresse vom Anrufer zu erfahren, um ihm über die akute, suizidale Phase hinwegzuhelfen. Etwa, indem er einen Krankenwagen ruft, der den Anrufer in eine psychiatrische Klinik bringt. Meist seien die Gespräche zum Thema Suizid aber weniger dramatisch. „Dann besteht die Aufgabe des Telefonseelsorgers eher darin, dem Anrufenden zu helfen, seine Perspektiven zu erweitern, um Lebensmöglichkeiten wieder wahrzunehmen“, sagt Erich Franken. „Wir können Anstöße geben, gemeinsam nach vielleicht vergessenen Ressourcen suchen, ein Stück Beziehung anbietet.“
Einige Anrufer wollten ihr Leben auch aufgrund einer unheilbaren Krankheit oder Schmerzen vorzeitig beenden. „Wenn die Kräfte in Körper und Geist schwinden und sie bei jedem Handgriff von anderen abhängig sind, fühlen sich diese Menschen entmündigt.“ Ihre Lebensrealität passten dann überhaupt nicht mehr zu Ihrem Selbstbild und der Vorstellung von lebenswertem Leben, zumal der Ausblick auf die Zukunft oft keine Linderung verspreche – gerade wenn das Alter fortgeschritten sei. „Diesen Leuten wird man nicht gerecht, indem man ihnen Antidepressiva verschreibt“, sagt Erich Franken.
Hilfe am Hörer, Stunde um Stunde
Was er anbieten könne: Gespräche, Hilfe am Hörer, Stunde um Stunde. „Ich stelle mich als ganze Person zur Verfügung“, sagt er. „In manchen Fällen „bringen weder das gemeinsame Suchen noch seine Anstöße einen Hoffnungsschimmer“, räumt der Seelsorger ein. Die ernüchterte Bilanz der Anrufer auf das eigene Leben bleibe. „Sie erwarten nichts mehr vom Leben, haben den Eindruck: Es reicht, auch nach langen Gesprächen.“ In anderen Fällen eröffneten die Gespräche eine neue, bejahende, Perspektive auf das eigene Leben, meint Erich Franken. Letztlich sei es ein Balanceakt: „Ich spreche niemandem das Recht ab, einen Suizid zu begehen, dazu habe ich zuviel gehört.“ Aber er biete eben seine Hilfe an. Und ein Seelsorger, wie geht er mit all dem um? Wie verpackt er den Schmerz der Anrufenden?
„Wir Telefonseelsorger haben es mit Anrufern aus allen Schichten der Gesellschaft zu tun“, sagt Erich Franken. „Aber man muss sich klar machen, dass es nur ein kleiner Ausschnitt ist und viele Menschen auch sehr viel Freude am Leben haben.“ Um psychisch gesund zu bleiben, sei es ratsam, sich das als Seelsorger regelmäßig vor Augen führen. „Neben Empathie und Toleranz ist die eigene psychische Gesundheit eine ganz wichtige Voraussetzung, um den Job langfristig machen zu können.“
Bei aller Hingabe für den Beruf ist Erich Franken manchmal froh darüber, dass er nur halbtags als Seelsorger arbeitet. „Die Belastung ist hoch“, sagt er. Nach einer Schicht brauche er eine Weile, um runterzukommen und Abstand zu gewinnen von dem, was täglich auf ihn einprasselt. Eine wichtige Rolle falle da seiner Familie zu, daheim in Aachen. Hier tankt er auf, lädt seine Akkus, um wieder gestärkt in die Beratung zu gehen.
„Ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun“, sagt Erich Franken. „Das stellt mich letztlich zufrieden.“ Zudem lerne er viel über Menschen. „Reich, schön und erfolgreich – das sind die Ideale unserer Gesellschaft.“ Ständig werde einem vorgegaukelt, dass die meisten Menschen diesem Anspruch an ein gelingendes Leben gerecht werden. „Aber das schaffen nur die wenigsten“, so die Bilanz des Seelsorgers aus fast zwanzig Jahren.
Text: Diakonie/Thomas Becker