Flüchtlingskinder in Kitas: Integration, die funktioniert

11. Juli 2018
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Die Kita „St. Johannis“ in Alt-Moabit ist eine von acht Kindertagesstätten in Berlin, die auserwählt wurde, speziell Kinder mit Fluchterfahrung aufzunehmen. Wie die Integration in der Praxis gelingt, haben wir uns bei einem Besuch vor Ort angeschaut.

Illustration mit Kind auf Schaukel
© Diakonie/Francesco Ciccolella

In der Modell-Kita "St. Johannis" spielen Kinder mit und ohne Fluchterfahrung zusammen

Umherwuselnde Kinder, Erzieher in Aktion. Das alltägliche Bild einer Kita. Oder auch nicht? 2015 entschloss sich "St. Johannis", die Kita um fünf Plätze zu erweitern, die nur an Kinder mit Fluchterfahrungen vergeben werden. Insgesamt gibt es acht dieser Modell-Kitas in ganz Berlin, die an dem Projekt der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft teilnehmen. Mittlerweile hat die die von der evangelischen Gemeinde Tiergarten getragene Einrichtung aufgestockt und acht Plätze für Kinder mit Fluchterfahrungen. Die Diakonie spielt hierbei eine Organisations- und Vernetzungsrolle und fördert den Austausch. "Der Bedarf war riesig, gerade in unserem Kiez", sagt Christine Thomaschewski-Borrmann (56), die Kita-Leiterin. Nur ein paar hundert Meter entfernt befindet sich das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo).

Das Projekt schreitet voran

Die Integration der Kinder klappt nach Einschätzung der Erzieherinnen sehr gut, ohnehin hätten 60 Prozent der Kinder eine andere Muttersprache und kämen aus vielen verschiedenen Ländern, erzählt Thomaschewski-Borrmann. Dabei sind nach ihren Angaben die meisten Kinder mit ihren Eltern aus Syrien gekommen, aber viele auch aus Ländern außerhalb des arabischen Raumes. Ein Junge wurde nach einigen Monaten zurück in den Kosovo abgeschoben, bei Kindern und Erziehern löste dies viel Unverständnis und Trauer aus, wie Thomaschewski-Bormann berichtet: "Er hat eine Lücke dagelassen", bedauert sie, "wir denken oft an ihn".

Oft eine Sorge: Lernen die Kinder überhaupt Deutsch?

Die Verständigung funktioniere trotz der Sprachbarrieren gut und falls es doch mal Schwierigkeiten gibt: Eine der Erzieherinnen spricht sieben Sprachen und unterstützt beim Übersetzen. Die Kinder könnten zu ihr allein wegen der Sprache sich mehr öffnen, so die Leiterin. Das Vorurteil, dass Kinder, die mit anderen Nicht-Muttersprachler-Kindern zusammen sind, die deutsche Sprache schlechter erlernen stimme nicht. "Ganz im Gegenteil!", betont Thomaschewski-Borrmann, "Aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse zeigen, dass Kinder die deutsche Sprache unter Nicht-Muttersprachlerinnen oft besser erlernen als andersherum. Kinder erlernen Sprachen sehr schnell, da ihr Sprachzentrum im Gehirn auf das Erlernen ausgeprägt ist. So merkt man keine oder nur sehr geringe Unterschiede zwischen den Muttersprachlerinnen und Nicht-Muttersprachlerinnen".

Viele verschiedene Kulturen von Anfang an zusammen

Auf dem Speiseplan wurde das Schweinefleisch gestrichen. Die Mahlzeiten bereitet jeden Tag ein eigener Koch zu. Natürlich wird auch auf andere kulturelle oder gesundheitliche Essgewohnheiten Rücksicht genommen.

Die Kita will das Zusammenleben von vielen verschiedenen Kulturen möglich machen. So steht sie in einem ständigen interreligiösen Dialog; alle religiösen Feste werden gemeinsam gefeiert, nicht nur die christlichen, erzählen die Erzieherinnen. So wurde vor kurzem das Zuckerfest, das Ende des Fastenmonats Ramadan, gefeiert. "Manchmal gehen wir auch gemeinsam in die naheliegende Moschee", so Thomaschewski-Borrmann. "Offenheit wird erwartet und erwidert". Die Einrichtung achtet besonders darauf, den Kindern früh zu zeigen, was die Kulturen gemeinsam haben. So lernen die Kinder von klein auf, eher auf das zu schauen, was die unterschiedlichen Kulturen verbindet und wenn es Unterschiede gibt, werden diese aufgezeigt und erklärt.

Hilfe im Alltag

Nicht selten stoßen Erzieherinnen aber auch an Ihre Grenzen: Traumatisierte Kinder, Sprachbarrieren und Schwierigkeiten mit dem Asylstatus sind nur ein paar der Probleme, die ihnen immer wieder begegnen. Dolmetscher und eine Kooperation mit dem Jugendgesundheitsdienst helfen sehr, wie Thomaschewski-Borrmann erzählt.

Neben der Betreuung der Kinder wird auch sehr auf die Unterstützung der Familien geachtet. So half eine Kita-Mitarbeiterin, ein Café in unmittelbarer Nachbarschaft zu eröffnen, in dem sich Geflüchtete austauschen können und Deutschkurse angeboten werden.

Umzüge belasten Kinder

An die Politik appelliert Thomaschewski-Borrmann, dass sie bei der Wohnungsvergabe stärker auf die Interessen der Betroffenen eingehen solle. Wenn die Familien häufig umziehen müssten, bedeute dies vor allem eine starke Belastung für das Kind, da es immer wieder aus seinem gewohnten Umfeld gerissen werde. Bei einer langen Anfahrt zur Kita seien einige Kinder oft übermüdet, wenn sie im Kindergarten ankommen. "Wir brauchen mehr finanzielle Unterstützung, um uns weiter zu vernetzen und andere Kitas von dem Konzept zu überzeugen". Zur Erleichterung für andere Kitas wurde eine wissenschaftlich gestützte Handreichung ausgearbeitet. Diese solle Vorurteile aus dem Weg räumen. Ihr Ziel: "Wir wollen dieses Projekt zum Vorbild für andere Kitas machen".

Text: Moritz Hohmann