Eine Familie kämpft ums Überleben
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Ihr Schicksal sorgte lange vor der Debatte über arbeitsuchende Bulgaren und Rumänen für Schlagzeilen: Die 6-köpfige Roma-Familie Nikolov aus Bulgarien lebte wochenlang unter der Kennedybrücke in Hamburg.

"Wir wollen keine Sozialleistungen, sondern arbeiten, Steuern zahlen und wie normale Menschen leben", sagt Ilinka
Ihr Schicksal sorgte lange vor der Debatte über arbeitsuchende Bulgaren und Rumänen für Schlagzeilen: Die 6-8 Monate Saisonarbeit in Portugal und Spanien, danach Schrott und Flaschen sammeln in Frankreich und England, ein Job auf dem Bau in Belgien. Schließlich das Zeltlager unter der Hamburger Kennedybrücke. Die Familie Nikolov hat eine Odyssee durch halb Europa auf der Suche nach Arbeit hinter sich.
Vorläufige Endstation: 2 je 18 Quadratmeter große Kirchenkaten auf dem Areal der Kirchengemeinde Volksdorf im Hamburger Nordosten. Eine für die Großeltern Georgi und Katerina Nikolov, eine für Tochter Ilinka und ihren Mann Georgi sowie die Kinder Ivan (6) und Katarina (4). Kochnische, Toilette, ein schlichter Raum mit Bett und Heizung, die Wände sind kahl, auf dem Fernseher steht ein Ikonenbild. Ein bescheidener Komfort – für die Nikolovs ein großes Glück. Tochter Ilinka, 24 Jahre alt, bringt Kaffee, eine Nachbarin ist zu Besuch, die sich ab und an um die Kinder kümmert. Vor 5 Monaten ist Ilinka Nikolov dank dem bisschen Geld, das ihre Eltern verdient haben, mit ihrer Familie aus Burgas nach Hamburg nachgekommen. “Es gibt keine Zukunft für uns in Bulgarien“, erklärt sie.
"Wir Roma sind letzten, die einen Job bekommen"
Erst recht nicht für Roma, auf deren Traditionen die Nikolovs stolz sind. Neben dem orthodoxen christlichen Glauben und festen Familienwerten gehört auch eine gewisse gesellschaftliche Unabhängigkeit dazu. Bei Problemen in der Gemeinschaft wird statt Anwalt und Polizei eine Art Ältestenrat einberufen. Über die systematische gesellschaftliche Diskriminierung seiner Volksgruppe in Bulgarien ist sich Georgi Nikolov sehr bewusst: “In unserer Heimat sind wir die letzten, die einen Job bekommen“, sagt der drahtige 48-Jährige mit dem grauen Bürstenhaarschnitt. Sporadisch arbeitete er dort als Dachdecker, wurde dabei immer wieder um seinen Lohn betrogen. Schließlich musste er Schulden bei einem Privatmann machen, die er nicht zurückzahlen konnte. Geldeintreiber haben daraufhin die Familie bedroht. “Selbst unter der Brücke ging es uns besser als in Bulgarien, wo wir geboren sind und ein Haus hatten“, erzählt Georgi Senior. Die anderen Wohnungslosen dort – Polen, Rumänen, Deutsche – haben sich um die beiden Kinder gekümmert: Solidarität unter den Ärmsten der Armen. öpfige Roma-Familie Nikolov aus Bulgarien lebte wochenlang unter der Kennedybrücke in Hamburg.
“Wir wollen keine Sozialleistungen, sondern arbeiten, Steuern zahlen und wie normale Menschen leben“, sagt Ilinka, die zusammen mit ihrem Mann und ihrem Vater gerade einen Deutschkurs besucht. Großmutter Katerina hat in Hamburg bei einer Leiharbeitsfirma als Altenpflegerin gearbeitet und dabei schlechte Erfahrungen mit der weit verbreiteten Willkür gegenüber geringer qualifizierten osteuropäischen Migranten gemacht. Die 44-Jährige bekam oft weniger Geld als verabredet, offiziell angemeldet wurde sie ebenfalls nie. Desislava Manavska von der Tagesaufenthaltsstätte (TAS) der Diakonie Hamburg kennt diese Form der Ausbeutung auch aus anderen Bereichen. “300 Euro Miete für eine Matratze als Schlafplatz sind leider üblich“, sagt die bulgarische Muttersprachlerin, die Familie Nikolov als Betreuerin zur Seite steht. Sie übersetzt und begleitet die Nikolovs bei Ämtergängen durch den deutschen Behördendschungel.
Zubrot mit Flaschen sammeln
Georgi Nikolov Senior hat bereits ein Gewerbe bei der Stadt angemeldet, um leichter an Arbeitsaufträge zu kommen. Mit den neuen Regelungen zur EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit hätte der Bulgare das Recht auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland. “Viele Arbeitgeber wollen das aber nicht, sie lassen weiterhin lieber schwarz arbeiten oder stellen Leute mit Gewerbeschein als Selbstständige ein“, berichtet TAS-Mitarbeiterin Manavska. Mit einem trockenen “Alles!“ antwortet Georgi Nikolov Junior auf die Frage, was er und seine Frau in Deutschland arbeiten wollen. Georgi auf dem Bau, Ilinka als Reinigungskraft sind ihre Vorstellungen für die Zukunft. Zurzeit verdient sich die Familie ein Zubrot mit Flaschen sammeln, zum Beispiel auf der Reeperbahn.
Mindestens bis März können die Nikolovs noch in der Kirchenkate in Volksdorf bleiben. Sobald wie möglich wollen sie richtig arbeiten und einen Kindergarten- und Schulplatz für Katarina und Ivan finden. Keine leichten Aussichten für die Familie, aber nach einer Odyssee durch halb Europa sind sie das Kämpfen gewohnt. “Wir schaffen das. Wir haben es immer geschafft“, sagt Georgi Nikolov.
Text: Diakonie/York Schaefer