Ehrenamtliche mit Migrationshintergrund im Hospiz

2. Oktober 2019
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In der ehrenamtlichen Hospizarbeit sind bisher kaum Menschen mit Migrationshintergrund tätig. Senay Omatan ist eine der ersten türkischen Sterbebegleiterinnen im Berliner Lazarus Hospiz. Auch sie war sich zuerst unsicher, ob dieses Ehrenamt für sie das Richtige ist.

© Diakonie/Ulrike Pape

Video: Ehrenamtliche Sterbebegleiterin Senay Omatan zu Besuch bei Uwe Moises im Lazarus Hospiz

Hospizarbeit kannte Senay Omatan zunächst gar nicht. "Bei uns Muslimen wird erwartet, dass die Familie rund um die Uhr für die Sterbenden da ist". Doch was tun, wenn die Angehörigen keine Zeit haben oder schlichtweg niemand da ist?

Ihr Kollege Hussam ermunterte sie, wie er ehrenamtliche Sterbebegleiterin zu werden. Der Bedarf ist groß. Die hohe Nachfrage, das starke Interesse hat auch Senay Omatan, inzwischen seit 2016 in der  Hospizarbeit ehrenamtlich tätig, selbst erlebt: "Es gibt so viele Menschen mit Migrationshintergrund, die kurz vor dem Tod jemanden brauchen, der oder die ihre Sprache spricht und sie versteht. Wir sind auch Muslime, wir sprechen Türkisch oder Arabisch, wir sind also auf einer Ebene".

Die Tätigkeit umfasst auch die Begleitung der Angehörigen: Manche Familien reisen aus dem Ausland an oder sind erst seit kurzem in Deutschland und haben dann viele Fragen. Nicht selten überfordert sie die Situation, einen geliebten Menschen zu verlieren und sich gleichzeitig noch um die Beerdigung in einem fremden Land kümmern zu müssen.

In ihrem Bekanntenkreis stieß ihr Ehrenamt zunächst auf Skepsis: "Wie ich wussten einige oft erst mal gar nicht, dass es das Hospiz überhaupt gibt und hatten Zweifel, ob es zu verkraften ist, beim Sterben so live dabei zu sein", erzählt die 50-Jährige. Danach sei sie aber nicht fix und fertig, eher das Gegenteil, als ob sie ihre Akkus aufgeladen habe: "Ich fühle mich voller Energie und extrem gut, dass ich diesem einen Menschen helfen konnte an seinen letzten Tagen, sich nicht allein zu fühlen".

Austausch zwischen den Kulturen

Dass sie darüber so positiv reden kann, war nicht immer so. Gerade am Anfang hatte Senay Omatan die Sorge, wie sie als Muslime mit Kopftuch bei den Menschen ankommt. Auch trieb sie um, ob eine christliche Einrichtung das Richtige für sie sei. "Aber ich habe bisher keine negativen Erfahrungen gemacht", berichtet sie, "Die Sterbenden stehen im Vordergrund und sie haben ja auch ganz unterschiedliche Hintergründe."

Mit ihren Fragen und Sorgen bleiben die ehrenamtlich Engagierten nicht allein: In einem  Vorbereitungskurs werden sie auf das Ehrenamt intensiv vorbereitet. Neben der monatlich stattfindenden Supervision tauschen sie sich untereinander mit anderen ehrenatmlich Engagierten aus. Senay Omatan: "Ich rede sehr gerne mit Leticia, die auch aus einem anderen Land kommt und allein das verbindet uns wieder."

Auch in Leticia Milanos Kultur, in Brasilien, gibt es keine Hospize und ist diese Tätigkeit als Sterbebegleiterin ungewöhnlich. "Gerade deshalb ist es so wichtig, dass es uns als Begleiter von woanders gibt und wir Brücken schlagen zwischen den Kulturen", resümiert die 56-jährige Autorin, "Allein dass wir beide aus einer anderen Kultur kommen, auch wenn die sterbende Person von ganz woanders als ich kommt, verbindet uns. Das Anderssein verbindet uns, weil wir beide nicht hier aufgewachsen sind."

"Hör auf, über Unterschiede nachzudenken. Fang an, über Gemeinsamkeiten nachzudenken"

Leticia Milano ermöglicht das Ehrenamt immer wieder die Gelegenheit, sich selbst zu begegnen und dem brasilianischen Anteil in ihr. Ihr halbes Leben ist sie bereits in Deutschland - und wird hier wohl sterben. Wie wird es ihr dann gehen? Wird sie ihre Heimat Brasilien vermissen? "Ich weiß jetzt durch meine Tätigkeit im Hospiz, dass es sein kann, dass wir uns am Ende an den Anfang zurücksehnen."

Andere ehrenamtlich engagierte Menschen möchte sie anregen, statt über Unterschiede lieber über Gemeinsamkeiten nachzudenken. "Wenn wir Sterbende begleiten, ist die Suche nach Punkten, in denen wir zusammenkommen, wichtig." Auch wenn sie eine tiefreligiöse Frau begleite und selber nicht so religiös sei, dann könnte sie über diesen Unterschied nachdenken, aber sie habe sich entschieden, mit der Frau zusammen in der Bibel zu lesen und dabei festgestellt, dass sie beide in vielem übereinstimmen: "Der Schlüssel sind die Gemeinsamkeiten." So sieht das auch Senay Omatan: "Am Ende haben wir alle oft viel mehr gemeinsam als erwartet."

Video, Schnitt, Text: Diakonie/Ulrike Pape

Welthospiztag und Projekt „Am Lebensende fern der Heimat“

#buntesehrenamthospiz - das ist das Motto des Welthospiztags 2019, der am 12. Oktober stattfindet. Hintergrund ist die Studie "Ehrenamtlichkeit und bürgerschaftliches Engagement in der Hospizarbeit". Fazit: Derzeit gibt es nicht viele Menschen mit Migrationshintergrund, die in der Hospizarbeit ehrenamtlich tätig sind. Auch sterben bisher kaum Menschen mit Migrationshintergrund im stationären Hospiz. Dabei richtet sich Hospizarbeit als Unterstützungsangebot grundsätzlich an jeden, der Hilfe bei schwerer Krankheit und Sterben benötigt.

Ziel: mehr Sterbebegleitung von und für Menschen mit Migrationshintergrund

Dem Wunsch nach mehr kultureller Diversität hat sich das Berliner Lazarus Hospiz verschrieben: Seit 2013 läuft das Projekt "Am Lebensende fern der Heimat" des Ambulanten Lazarus Hospizdienst. Ziel ist, schwerstkranke und sterbende Menschen mit Migrationshintergrund und ihren Angehörigen den Zugang zu Angeboten des Hospizes zu erleichtern, mehr Menschen mit Migrationshintergrund für das ehrenamtliche Engagement in der Hospizarbeit zu gewinnen und dabei zu helfen, dass alle Mitarbeitenden im Hospiz lernen, aufmerksam mit verschiedenen Kulturen umzugehen. Auch die Diakonie setzt sich dafür ein, dass die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für dieses Ziel geschaffen werden.

Im Berliner Lazarus Hospiz sind 83 ehrenamtliche engagierte Menschen als Sterbebegleitung tätig; neun davon haben einen Migrationshintergrund. Zwei davon sind Senay Omatan und Leticia Milano, die im Video und Text vorgestellt werden.

© Deutscher Hospiz und Palliativ Verband e.V.