Den Tunnelblick um viele Ausgänge erweitern

2. März 2015
  • Journal
  • Familie und Kinder

Finanzielle Nöte, unsichere Familienverhältnisse, Überforderung – schwangere Frauen stehen manchmal vor scheinbar unlösbaren Problemen. Schwangerschaftsberaterin Karin Aumann ist in diesen Situationen für die Frauen da.

Schwangerschaftskonfliktberaterin Karin Aumann
© Diakonie/Anieke Becker

Die Schwangerschaftskonfliktberaterin Karin Aumann hilft Frauen in scheinbar aussichtslosen Situationen

So, nein, so hatte sie sich das wirklich nicht vorgestellt. Die Familienplanung war mit ihren zwei Kindern abgeschlossen, gerade hatte sie eine neue Beziehung angefangen und jetzt das: Ein positiver Schwangerschaftstest. Ihr Entschluss stand fest: Sie will kein weiteres Kind, sie will die Schwangerschaft abbrechen. Deshalb sitzt Beate Lehmann* nun in einem lichtdurchfluteten Beratungsraum, rechts neben sich eine kleine Spielecke für Kinder, vor sich Karin Aumann, Religionspädagogin und Schwangerschaftskonfliktberaterin der Evangelischen Beratungsstelle Oskar-Winter-Straße des Diakonischen Werkes Stadtverband Hannover.

Der Fall von Beate Lehmann sei klassisch: "Viele Frauen haben ihre Entscheidung schon getroffen, wenn sie zu mir kommen. Sie wollen nur noch den Schein haben", so Aumann. Denn Frauen, die sich in Deutschland für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, müssen vorher in eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle gehen. Erst nach diesem Beratungsgespräch kann die Schwangerschaft straffrei abgebrochen werden. "Diese Entscheidung respektiere ich natürlich. Mir ist es sehr wichtig eine Vertrauensbasis zu schaffen. Die Frauen sollen nicht das Gefühl haben, dass ich sie zu etwas überreden möchte", sagt Karin Aumann. Trotzdem hält sie die obligatorische Pflichtberatung für extrem wichtig.

Eine neutrale Person einbeziehen

Sie will den Frauen neue Perspektiven aufzeigen, auch wenn viele ‚nur‘ für einen Schein herkommen würden: "Gerade wenn die Familie Druck ausübt, macht es Sinn, sich die Situation gemeinsam mit einer neutralen Person anzuschauen und nichts zu überstürzen." Denn viele Frauen hätten einen ‘Tunnelblick’ und ließen sich für ihre Entscheidung kaum Zeit: "Montagvormittag erfahren sie von der Schwangerschaft, am Nachmittag wollen sie einen Beratungstermin und Dienstag einen Termin zur Abtreibung. Wenn das keine Pflichtberatung wäre, dann würden die wenigsten Frauen eine Beratungsstelle aufsuchen." Doch bevor alles so schnell wie möglich passiert, hakt Aumann nochmal nach und versucht, den ‘Tunnelblick’ um viele Ausgänge zu erweitern.

So wie bei Maria Dreser*, einer jungen Frau Ende 20. Sie lebte ohne festen Partner, war beruflich erfolgreich und flog viel um die Welt. "Ihr Job war ihr sehr wichtig. Sie dachte, dass er sich mit einem Kind nicht vereinbaren lässt." Aumann ging mit Dreser verschiedene Fragestellungen durch: Welche Hilfe kann sie in Anspruch nehmen? Wie ist ihre Beziehung zu dem Vater? Welchen Stellenwert hat die Arbeit in ihrem Leben und welchen hat ihr Privatleben? "Man fällt ja auch nicht für 18 Jahre aus, wenn man ein Kind hat", Aumann lacht. Dreser hatte sich am Ende für das Kind entschieden.

Die Überforderung nimmt zu

Physische und psychische Überforderung – diesen Grund geben die meisten Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch an, so geht es aus der Auswertung der Evangelischen Beratungsstelle Oskar-Winter-Straße für das Jahr 2014 hervor. "Frauen fühlen sich oft nicht in der Lage ein Leben mit Kind oder zusätzlichem Kind zu führen", so Karin Aumann. Auch finanzielle Sorgen oder eine problematische Beziehung zum Kindsvater spielen eine große Rolle. Außerdem beobachtet die Konfliktberaterin in den letzten Jahren zunehmend eine Überlastung durch schwierige Arbeitsverhältnisse. Viele Frauen hätten befristete Arbeitsverträge. "Wenn ich schwanger werde läuft mein Vertrag aus. Was soll ich dann machen?", solche Sätze hört Karin Aumann sehr oft. "Ich glaube, dass gerade bei jungen Frauen der Druck, Schwangerschaft und Arbeit unter einen Hut zu bringen, enorm zunimmt."

Aber eine Beratung für Schwangere ist nicht nur sinnvoll, wenn es um die Frage geht, ob die Schwangerschaft abgebrochen werden soll oder nicht. Neben der sogenannten 'Schwangerschaftskonfliktberatung' bietet das Evangelische Beratungszentrum in Hannover auch Schwangerenberatungen zu allen möglichen Themen an. Hier geht es zum Beispiel um die Bewilligung für die Anschaffung der Erstausstattung durch das Jobcenter, Fragen zum Elterngeld, Vaterschaftsanerkennung oder die Wahl der richtigen Hebamme. Aumann versucht auch heiklere Themen wie Pränataldiagnostik anzusprechen: "Während der Schwangerschaft können unheimlich viele Untersuchungen gemacht werden. Aber gerade Familien in finanziellen Nöten können sich diese Tests oft nicht leisten. Was sie nicht wissen: In vielen Fällen sind sie auch gar nicht alle nötig. Hier versuche ich den Druck rauszunehmen."

Hohe Erwartungen an junge Mütter

Karin Aumann beobachtet, dass Schwangere heute oft nicht so unbekümmert sind wie es noch ihre Mütter waren. Für Aumann hat das, neben den Tests, auch etwas mit dem medial geprägten Bild von Schwangerschaft und Familie zu tun: "Ich versuche den Müttern klar zu machen, dass man nicht nach vier Wochen wieder Topmaße hat. Oder, dass es so etwas wie den Baby Blues gibt, also Stimmungsschwankungen nach der Geburt. Auch muss man einen Tag nach der Geburt keinen Staatsempfang mit einem drei-Gänge-Menü ausrichten. Das Wochenbett, in dem sich Mutter und Kind ausruhen und sich kennenlernen sollen, gibt es ja nicht ohne Grund."

Was sich bis heute noch wenig geändert hat sei die Einbindung von Männern. In den meisten Fällen kommen nur die Frauen in die Konfliktberatung. Da wünscht sich Aumann eine Veränderung: "Ich habe oft das Gefühl, dass die Männer alles mittragen möchten, aber oft wollen die Frauen auch ihre Meinung hören. Und diese Entscheidung ist doch für beide wichtig, immerhin geht es um das gemeinsame Kind."

*Die Namen der Klientinnen wurden von der Redaktion geändert.

Text: Diakonie/Anieke Becker