Aktiv durch Muße

16. Oktober 2015
  • Journal
  • Armut und Arbeit
  • Menschenwürdiges Existenzminimum

Wie kann Ausgrenzung durch Armut verhindert werden? Zum Beispiel mit "Aktivierung durch Muße". Wie, zeigt Hans-Jürgen Grimm, arbeitslos, und Leiter eines Kunst-Workshops beim Fachtag der Diakonie im Gitschiner 15.

Hans-Jürgen Grimm hat in seinem Leben viel erlebt. Ein regelmäßiges Einkommen, eine bezahlte Arbeit, die ihn erfüllt? Das sind hingegen sind Dinge, die er nur aus Erzählungen anderer kennt. Dabei würde er gerne seiner Leidenschaft nachgehen. "Ich lebe für die Kunst", sagt er. Seit zwei Jahren engagiert er sich im Zentrum gegen Armut und soziale Ausgrenzung Gitschiner 15: in einem alten Fabrikgebäude in Berlin-Kreuzberg können Menschen wie er malen, musizieren und kreativ sein. Hier wird Hans-Jürgen Grimm nur "Grimmi" genannt.

Grimmi sitzt im offenen Atelier im zweiten Stock der Gitschiner 15 und mischt Farben an. Der 61-Jährige bereitet seinen Workshop vor. Heute ist der Fachtag "Aktvierung durch Muße", den die Diakonie Deutschland in Zusammenarbeit mit der Gitschiner 15 veranstaltet. In Diskussionen, Vorträgen und Workshops wird sich dem Thema Armutsbekämpfung gewidmet. Wie kann sozial schwächeren Menschen die gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden? Das ist eine zentrale Frage des Fachtages.

© Wolf-Hednrik Müllenberg

Armutsbekämpfung einmal anders

"Erwerbslose werden nur als Menschen mit Defiziten wahrgenommen und deswegen diskriminiert", sagt Michael David Armutsexperte der Diakonie Deutschland. Das Ziel der Diakonie sei es selbstbestimmte und selbstorganisierte gesellschaftliche Beteiligung zu ermöglichen. Ein Ansatz den die Gitschiner 15 seit 15 Jahren verfolgt. Die Idee: Wer sich der Muße hingibt, wer seine Kreativität auslebt, ist zum einen aktiv.

"Erwerbslose werden nur als Menschen mit Defiziten wahrgenommen und deswegen diskriminiert", sagt Michael David vom Zentrum Migration und Soziales der Diakonie Deutschland. Das Ziel der Diakonie sei es selbstbestimmte und selbstorganisierte gesellschaftliche Beteiligung zu ermöglichen. Ein Ansatz den die Gitschiner 15 seit 15 Jahren verfolgt. Die Idee: Wer sich der Muße hingibt, wer seine Kreativität auslebt, ist zum einen aktiv. Zum andern nimmt er sich Zeit wieder darüber klar zu werden, was er kann.

"Jeden Tag sollen Erwerbslose beweisen, wie sie aus der Arbeitslosigkeit rauskommen – unabhängig, davon ob es die Arbeitsplätze überhaupt gibt“" sagt Michael David. "Sie haben keine Zeit einmal Atem zu schöpfen und sich auf ihre Stärken zu besinnen". Das ist auch ein Befund des Soziologen Klaus Dörre, der mit seinem Buch "Bewährungsproben für die Unterschicht" Ausgrenzungsprozesse im Hartz IV-System beschrieben hat und auf dem Fachtag einen Vortrag hielt. Über die Situation vieler Arbeitslose sagte er: "Sie rennen in einem Hamsterrad und treten dennoch auf der Stelle."

Keine Zeit für die eigenen Stärken

Genauso hat sich Grimmi jahrelang gefühlt – bis er die Gitschiner 15 kennen lernte. Hier entwickelte er als Künstler seine ganz eigene Maltechnik. Er bemalt lange Leinwand-Bahnen, die er in einem selbstgezimmerten Holzrahmen mittels einer Kurbel Stück für Stück abrollt. Es sind Rollbilder, die sich ständig verändern und neue Interpretationen zulassen. Seine Maltechnik will er den Teilnehmenden des Workshops heute beibringen.

Anna Maria Herr besucht den Workshop, "weil Grimmi einfach ein sehr empathischer Mensch ist und ich etwas Neues lernen wollte." Sie ist froh, dass es die Gitschiner 15 gibt. Seit acht Jahren kommt sie hier her. "In der Gitschiner kann man etwas schaffen, dass einen gewissen Wert hat. Und das ist für Menschen wie uns einfach sehr wichtig."

Text: Diakonie/Wolf-Hendrik Müllenberg